Vermeintlich bescheidene Vorstellungen
Unter „Luxus“ werden klassischerweise meist teure Konsumgüter verstanden. Ein Bentley, eine Patek-Philippe-Uhr oder eine Jacht von Lürssen sind Beispiele und eben Dinge, die auch die Wirtschaft zum Luxussegment zählt. Auch aus akademischer Sicht ist es sinnvoll, den Begriff klar einzugrenzen und beispielsweise zwischen Luxus, Protz, Prestige oder Schönheit zu differenzieren. Das stellt auch Prof. Lambert Wiesing im Interview im infas-Magazin Lagemaß (Seite 27) klar. Für ihn ist Luxus an Besitz gebunden und muss einen übertriebenen Aufwand und eine Verschwendung beinhalten. Diese aus akademischer Sicht möglicherweise sinnvolle Beschreibung wird von der Bevölkerung nicht unbedingt geteilt. Gerade in jüngerer Zeit wendet sie beim Thema Luxus den Blick auf Immaterielles: Bei guter Gesundheit zu sein, Zeit für sich zu haben oder tolle Erlebnisse seien viel eher Luxus als aufwändige Konsumgüter. Das bestätigt auch eine Erhebung, die wir im ersten Quartal 2021 durchgeführt haben.
Im Rahmen der infas-Mehrthemenbefragung haben wir erhoben, was die Menschen in Deutschland unter persönlichem Luxus verstehen. Die geschlossene Frage enthielt bewusst auch Antwortkategorien, die im akademischen Sinne kein Luxus sind. Etwa, sich schmerzfrei bewegen zu können oder Zeit für sich zu haben, was der Normalfall sein sollte. Abgefragt wurde zudem das, was der Volksmund unter Luxus versteht, beispielsweise sich selbst etwas gönnen zu können.
Ziel war es demnach nicht, im engen Sinne Luxus abzufragen, sondern materielle und immaterielle Aspekte, die einen besonderen Stellenwert haben und über das Normale hinausgehen, die nur schwer erreicht werden können oder nicht zwingend erfüllbar erscheinen.
Ein übergreifendes Ergebnis: Aus Sicht der Bevölkerung haben immaterielle Dinge Güter als Luxus abgelöst. Am häufigsten wird „gesund sein”, gefolgt von „in einem sicheren Umfeld leben zu können” und „mich gut und schmerzfrei bewegen zu können” als persönlicher Luxus genannt. Das überrascht. Auch, weil Items, die dem klassischen Luxus näher sind, indem sie den Aspekt des Besitztums mit einbeziehen, so etwa „viel Geld und teuere Sachen besitzen zu können”, deutlich seltener genannt werden. Nur etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung zählt dies zum persönlichen Luxus.
Zwei mögliche Ursachen für diesen Befund können hierzu angeführt werden. Zum einen ist Luxus, auch im akademischen Sinne, nicht an den Preis einer Sache gebunden. Sehr teuere Dinge sind nicht automatisch Luxus. Das mag für reiche Personen der Fall sein. „Persönlicher Luxus”, so wie er hier abgefragt wurde, richtet sich jedoch nach den individuellen Möglichkeiten. Für Personen mit wenig Besitz mag ein Mittelklasse-Smartphone persönlicher Luxus sein.
Zum anderen ist Luxus, anders als Protz oder Prestige, eng mit einer Selbstermächtigung bzw. Selbstbestimmtheit verbunden. Dinge zu besitzen, die unvernünftig aufwändig sind, bedeutet, sich über rationale Vorgaben hinwegzusetzen. Gesund zu sein und in einem sicheren Umfeld zu leben, sind ebenfalls wesentliche Voraussetzungen, selbstbestimmt zu leben. Das wird jeder bestätigen, der gesundheitlich eingeschränkt ist oder in einem gefährlichen Umfeld lebt.
Entsprechend zeigen sich deutliche Unterschiede in der Einordnung von persönlichem Luxus in Abhängigkeit vom ökonomischen Status und der Lebenslage. Wobei überraschenderweise bei einigen Items die Trennlinie nicht zwischen Arm und Reich liegt, sondern die sehr arme und die sehr reiche Bevölkerung übereinstimmten und sich von der Mitte abgrenzten.
Die Möglichkeit, „neue Ideen zu entwickeln und kreativ sein zu können”, ist beispielsweise für Menschen mit besonders niedrigem und besonderes hohem Einkommen überdurchschnittlich oft als persönlicher Luxus genannt worden. Es ist zu vermuten, dass beiden Bevölkerungsgruppen aus unterschiedlichen Gründen die Zeit fehlt. Den einen, weil sie sie benötigen, um über die Runden zu kommen, den anderen, weil sie dafür aufgewendet wird, um den Reichtum zu erhalten. Aus vermutlich ähnlichem Grund wurde auch „mehr Zeit für Freunde und Familie zu haben“ von Menschen mit niedrigem und sehr hohem ökonomischem Status gleichermaßen überdurchschnittlich oft als Luxus genannt. „Viel Geld und teure Sachen besitzen zu können“ wird von Personen mit niedrigem ökonomischem Status überdurchschnittlich häufig genannt – von solchen mit sehr hohem Status hingegen deutlich seltener als im Schnitt. Das mag auf den ersten Blick überraschen. Andererseits mag in den wohlhabenden Bevölkerungsschichten der Besitz als selbstverständlich und eben nicht als Luxus angesehen werden.
Auch „Spaß zu haben“, „frei und unabhängig von anderen zu sein“ oder ein „Leben mit Abwechslung“ wird überdurchschnittlich häufig von Personen mit geringem ökonomischem Status als persönlicher Luxus angegeben. Auch hier dürfte die Ursache darin liegen, dass diese Optionen mangels finanzieller Mittel oder aufgrund eines geringen Freizeitbudgets nur wenig realisiert werden können.
Werden Luxus und auch die Items, die hier darunter subsumiert wurden, als eine Option der Selbstbestimmung gewertet, ist das unterschiedliche Antwortverhalten von Männern und Frauen bedenkenswert. Gesund zu sein, in einem sicheren Umfeld zu leben, Zeit für sich zu haben oder sich selbst etwas gönnen zu können, werden von Frauen häufiger als „persönlicher Luxus” eingeordnet als von Männern.
Lediglich bei den eher materiellen Items, wie „dass ich mir alle Wünsche erfüllen kann”, „viel Geld und teuere Sachen besitzen zu können” und „Abenteuer zu erleben und ein aufregendes Leben zu haben”, liegen die männlichen Befragten vorne. Bei „nicht mehr arbeiten zu müssen” oder „ein Haus zu besitzen” liegen beide Geschlechter gleichauf.
Weniger überraschend haben die 18- bis 24-Jährigen, die sich häufig noch in Ausbildung befinden und am Anfang ihres Berufslebens oder einer Familienplanung stehen, mehrfach abweichende Einstellungen zum Thema Luxus. Für sie zählen dazu die Möglichkeiten, sich etwas leisten oder reisen zu können, also schlicht Dinge, für die in der Ausbildung oder am Anfang des Berufslebens noch das Geld fehlt. Senioren wenden sich hingegen von Freiheit und Abenteuer ab und richten ihren Fokus auf Gesundheit, Sicherheit und Wohlbefinden.
Eine Faktorenanalyse über alle abgefragten Items bestätigt nochmals die grundlegende Trennung, die sich bereits in den univariaten Analysen zeigt. Demnach kann zwischen zwei Faktoren unterschieden werden, einem stärker ausgeprägten mit immateriellen Items und einem weniger starken mit einem materiellen Fokus. Zum materiell orientierten Faktor zählen etwas mehr Männer, Personen im jungen Erwachsenenalter und solche aus der mittleren und teilweise aus der unteren ökonomischen Schicht. Der immateriell orientierte Faktor ist häufiger von Frauen, Senioren und Personen mit höherem ökonomischem Status besetzt. Weitere Beiträge in dieser Ausgabe bestätigen diese Befunde.
Mehr Zeit für Freunde und Familie zu
haben“, ist von Menschen mit niedrigem
und sehr hohem ökonomischem Status
gleichermaßen überdurchschnittlich
oft als Luxus genannt worden.
Festzuhalten bleibt, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema Luxus aufschlussreich für gesellschaftliche Aspekte ist, die damit auf den ersten Blick nicht in Zusammenhang stehen. Es ist daher bedauerlich, dass Luxus in der akademischen Welt vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit genießt. Gerade weil der Begriff im allgemeinen Sprachgebrauch sehr vielfältig verwendet wird, eignet er sich möglicherweise als indirekter latenter Indikator in anderen Themengebieten. Für eine weiterführende Forschung wäre ein vertiefender Abgleich der Einschätzung von Luxus mit der Lebenssituation wünschenswert, insbesondere in gesundheitlicher Hinsicht. Außerdem fehlt bisher eine empirische Ermittlung von Besitztümern, die als persönlicher Luxus empfunden werden, und den Argumentationen dahinter.
Dieser Beitrag ist in Lagemaß, Ausgabe 11 erschienen. Zum Magazin
Zum Weiterlesen:
Garth, A.J. (2005): Das Licht des Luxus – Ein paar Gedanken über die Frage, warum manche Dinge glänzen. Brand Eins Magazin
Röski, C. (2019): Ruhe ist Luxus. ZEIT-Online,
Wiesing, L. (2015): Luxus. Suhrkamp Verlag, Berlin
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