Entgrenzung der Arbeitszeit durch moderne Kommunikationsmittel

Moderne Kommunikationstechnologien wie E-Mail, Handy oder Internet sind aus dem Arbeitsalltag der meisten Beschäftigen nicht mehr wegzudenken. Abstimmungsprozesse, die früher mehrere Tage in Anspruch genommen haben, können heute innerhalb kürzester Zeit abgewickelt werden, weil Informationen und Dokumente über das Internet im Minutentakt ausgetauscht werden können. Auch die Möglichkeiten, außerhalb des Betriebs zu arbeiten, z. B. im Rahmen von Homeoffice, haben sich verbessert, weil Kommunikation und Erreichbarkeit aufgrund mobiler Kommunikationstechnologien beinahe unabhängig davon geworden sind, wo Beschäftigte ihrer Arbeit nachgehen.

Doch moderne Kommunikationsmittel bringen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht nur Vorteile. Die Digitalisierung der Arbeitswelt und der großflächige Einsatz moderner Kommunikationsmittel im beruflichen und außerberuflichen Alltag können auch Konsequenzen für Arbeitsabläufe, Reaktionsgeschwindigkeit und Arbeitsverdichtung haben, die von den Betroffenen als belastend empfunden werden. Auch können sich Beschäftigte gezwungen sehen, außerhalb ihrer Arbeitszeiten E-Mails anzunehmen, unerledigte Telefonate zu führen oder Arbeiten zu verrichten. Es kann dadurch zu einer Aufweichung der Grenzen zwischen der Arbeitswelt im Büro- oder Werkkontext und der persönlichen Sphäre in Familie und Freizeit kommen.

Entgrenzung der Freizeit Entgrenzung der FreizeitIn einer repräsentativen Befragung von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zum Thema „Gewünschte und erlebte Arbeitsqualität“ wurde diesem Aspekt nachgegangen. Die Beschäftigten wurden gefragt, ob sie der Aussage „Die modernen Kommunikationsmittel wie E-Mail, Handy oder Internet machen meine Freizeit häufig zur Arbeitszeit“ zustimmen oder ihr widersprechen. 73 Prozent der Befragten stimmten der Aussage nicht zu und rund 10 Prozent waren unentschieden. Aber immerhin rund 17 Prozent bejahten die Aussage.

Bei rund einem Sechstel der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer führen moderne Kommunikationsmittel also zu einer Entgrenzung zwischen Freizeit und Arbeitszeit.

Bei der Zustimmung zu dieser Frage gibt es eher geringe Unterschiede nach dem Alter. Am niedrigsten war der Anteil bei Personen unter 25 Jahre: Hier sahen nur 12 Prozent eine Entgrenzung ihrer Arbeitszeit aufgrund moderner Kommunikationsmittel. Am häufigsten stimmten Personen im mittleren Alter zwischen 35 und 44 Jahren der Aussage zu. Hier gaben 19 Prozent an, dass moderne Kommunikationsmittel Teile ihrer Freizeit zur Arbeitszeit machen.
Unterschiede finden sich auch zwischen Männern (Zustimmung zur Aussage: 20 Prozent) und Frauen (Zustimmung 14 Prozent). Diese Unterschiede sind vermutlich weitgehend auf die unterschiedlichen Beschäftigungsformen der beiden Gruppen zurückzuführen. Fast alle männlichen Angestellten arbeiten in einer Vollzeitbeschäftigung (93 Prozent), unter den weiblichen Beschäftigten ist dies bei knapp der Hälfte der Fall (49 Prozent). Und Vollzeitbeschäftigte berichten deutlich häufiger von einer Entgrenzung ihrer Arbeitszeit durch moderne Kommunikationsmittel (Zustimmung 20 Prozent) als Teilzeitbeschäftigte (Zustimmung 11 Prozent).
Den deutlichsten Unterschied findet man aber bei einer Differenzierung der Antworten nach dem Grad der Verantwortung in der beruflichen Tätigkeit. Personen mit Personalverantwortung und Angestellte mit eigenständiger Leistung (z.B. Abteilungsleiter/in oder Meister/in) berichten jeweils zu 29 Prozent von einem Verschwimmen der Grenze zwischen Arbeit und Freizeit. Angestellte mit umfassenden Führungsaufgaben stimmen sogar zu knapp 39 Prozent der Aussage zu, dass die modernen Kommunikationsmittel ihre Freizeit häufig zur Arbeitszeit machen. Bei Arbeitern und Angestellten mit ausführenden Tätigkeiten sind es dagegen nur 9 bzw. 11 Prozent.
Die Einschätzung wird bei Beschäftigten in hohen beruflichen Positionen deutlich durch die familiäre Situation mitbestimmt. So sind die Ergebnisse bei Arbeiterinnen und Arbeitern und auch bei Angestellten in ausführender bzw. qualifizierter Tätigkeit weitgehend unabhängig davon, ob sie in einer Partnerschaft bzw. mit Kindern unter 14 Jahren im Haushalt leben. Bei Angestellten mit eigenständiger Leistung in einer verantwortlichen Tätigkeit ist das anders: Leben sie in einer Partnerschaft – unabhängig davon, ob Kinder vorhanden sind oder nicht –, so sagen sie zu über 30 Prozent, dass bei ihnen Freizeit durch moderne Kommunikationsmittel zur Arbeitszeit geworden ist. Unter den Angestellten mit verantwortlicher Tätigkeit ohne Partnerschaft liegt die Zustimmung um mehr als 10 Prozentpunkte niedriger (knapp 20 Prozent). Ähnliche Unterschiede findet man auch zwischen Angestellten in dieser beruflichen Stellung mit und ohne Kinder unter 14 Jahren im Haushalt. Bei Angestellten mit umfassenden Führungsaufgaben sind die Unterschiede nach beruflicher Situation teilweise noch größer. Allerdings sollte man dies aufgrund der geringen Fallzahl dieser Gruppe mit Vorsicht bewerten. Wird diese Entgrenzung von den Beschäftigten als Belastung gesehen? Im Rahmen einer Querschnitterhebung lässt sich ein solcher Zusammenhang nicht kausal belegen. Es gibt allerdings starke Indizien dafür, dass das Verschwimmen der Grenze zwischen Arbeit und Freizeit nicht spurlos an den Betroffenen vorbeigeht. Personen, die von einer Entgrenzung betroffen sind, berichten häufiger von überdurchschnittlich hohen quantitativen Anforderungen und von Konflikten zwischen Arbeit und Privatem. So haben beispielsweise 43 Prozent der Personen, die der Aussage zustimmen, überdurchschnittliche quantitative Anforderungen. Unter den Personen, die der Aussage unentschieden gegenüberstehen bzw. ihr nicht zustimmen, liegt der Anteil mit überdurchschnittlichen quantitativen Anforderungen bei rund 22 bzw. 15 Prozent.
Auch weisen diese Personen häufiger überdurchschnittliche Werte beim Indexwert für die Burn-out-Symptomatik auf als Personen, die keine Entgrenzung ihrer Arbeitszeit sehen bzw. unentschieden sind.

Quelle: Nübling, M. et al. (2015): Gewünschte und erlebte Arbeitsqualität (Abschlussbericht), Forschungsbericht 456 im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), Berlin.