Das digitale Paradox

Vermächtnisstudie LogoEs ist wohl eine der umfassendsten Studien zum Befinden und zu den Einstellungen der Bevölkerung in verschiedensten Lebensbereichen: „Das Vermächtnis – Die Welt, die wir erleben wollen“ ist ein Gemeinschaftsprojekt der ZEIT, des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung und infas. Rund 3.000 Deutsche standen Rede und Antwort.
Zu Themen wie Partnerschaft, Erwerbsleben, Kommunikation, Finanzen, Lebensplanung oder gesellschaftliche Teilhabe wurden jeweils der Status quo, das Optimum für künftige Generationen und die tatsächlich erwartete Entwicklung erfragt. Durch die enorme inhaltliche Breite und Tiefe und durch den Abgleich von Wunsch und Wirklichkeit deckt die Studie zahlreiche, bisher unbekannte Zusammenhänge auf.

Ein zum Themenschwerpunkt dieser Ausgabe passendes Beispiel ist die digitale Kommunikation. Hier räumt die Untersuchung mit einigen Vorurteilen auf. Die ältere Generation gilt in Sachen Internet gemeinhin als skeptisch. Sie waren Nachzügler in der persönlichen Nutzung und noch immer sind in den hohen Altersgruppen die meisten Online-Verweigerer zu finden. Bei den über 65-Jährigen nutzt etwa die Hälfte kein Internet, während es bei der Bevölkerung bis 50 Jahre praktisch jeder tut.

Internet von klein auf

Kinder früh ans Internet heranführen?

Dennoch sprechen die über 50-Jährigen mit Online-Erfahrung dem Internet eine hohe Bedeutung zu. So ist etwa jeder Dritte der Überzeugung, dass Kinder heute möglichst früh an das Internet herangeführt werden sollten. Bei den unter 36-Jährigen ist nur etwa jeder Zehnte dieser Ansicht. Für sie ist das Internet nicht weniger relevant, aber durch die eigene Erfahrung, mit dem Netz aufgewachsen zu sein, sind sie in der Frage, wie eilig ein Kind herangeführt werden soll, gelassener.
Wie bei vielen Fragestellungen wurden auch hier in der Vermächtnisstudie der Status quo, eine Empfehlung für künftige Generationen und die erwartete Zukunft abgefragt.  Es zeigt sich, dass die Befragten ihre Einstellung auch perspektivisch empfehlen aber eine andere Entwicklung erwarten. Eine große Mehrheit geht altersunabhängig davon aus, dass Kinder künftig tatsächlich frühestmöglich an das Internet herangeführt werden.
Auch wenn die Relevanz des Internets altersunabhängig unbestritten ist, ist das Netz für Jung und Alt nicht das Gleiche. Für die unter 18-Jährigen ist es ein Instrument des sozialen Kontakts – ein beachtlicher Teil von ihnen gibt an, sich nie alleine zu fühlen, weil sie über das Internet mit anderen Menschen in Kontakt stehen. Zwei Drittel der über 50-Jährigen verneinen hingegen diese Aussage. Für sie ist das Internet kein Ersatz für die analoge Interaktion.

Kinder frühestmöglich ans Internet heranführen?

Schutz vor dem Alleinsein durch das Internet?

Geht es nach den Befragten, wird sich das aber ändern. Auch hier wurde in der Vermächtnisstudie der Blick auf die gewünschte und erwartete Zukunft gerichtet. Während 9 Prozent angeben, sich nie alleine zu fühlen, weil sie über das Internet mit anderen Menschen in Kontakt sind, sagen bereits 16 Prozent, dass sie das künftigen Generationen wünschen. Deutlich mehr, nämlich 36 Prozent sind davon überzeugt, dass das für die Menschen in Zukunft so sein wird.
Die Vermächtnisstudie belegt, wie sich die digitale Kommunikation quasi „unter der Wasseroberfläche“ wandelt. Offensichtlich ist, dass die Jungen praktisch vollständig online sind und die älteren Generationen beim Anteil der Internetnutzer stetig aufholen. Der genauere Blick zeigt, dass die nachwachsende Generation, insbesondere die unter 18-Jährigen, einen anderen, sehr selbstverständlichen Umgang mit der Kommunikation via Internet pflegen. Sie unterscheiden nicht zwischen dem Netz und der „echten“ Lebenswelt und sind deshalb weit weniger besorgt, durch ihre Online-Aktivitäten etwas zu verpassen. Anders als die älteren Generationen, für die der regelmäßige Blick auf das Smartphone schon eher die Teilnahme am unmittelbaren Alltag verhindert. Speziell für die unter 18-Jährigen ist das Internet auch ein legitimer und selbstverständlicher Kommunikationskanal, um engen Kontakt mit Freunden zu pflegen oder auch Gefühle zu kommunizieren. Über 18-Jährigen ist das eher fremd. Ähnlich dürfte die Situation in den 70er Jahren mit der zunehmenden Verbreitung des Telefons gewesen sein: Diejenigen, die damit sozialisiert wurden, haben es viel umfassender genutzt und damit die Zukunft vorweggenommen.

Schutz vor der Einsamkeit?

Ausgewähltes zum Weiterlesen: bestehende Veröffentlichungen der ZEIT und derzeit greifbare Texte der Vermächtnisstudie: www.zeit.de/serie/das-vermaechtnis oder www.infas.de/service/das-vermaechtnis