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Delegation bei Online-Befragungen

Betriebs- oder Unternehmensbefragungen umfassen in der Regel eine Vielzahl unterschiedlicher Themen, beispielsweise zu den Folgen der Corona-Pandemie, der Digitalisierung und der Weiterbildung von Mitarbeitern oder auch schlicht Unternehmensdaten.

Gesucht ist dann eine Auskunftsperson für das Interview, die möglichst zu allen Themen des Fragebogens fundierte Auskunft geben kann. Je mehr Themenbereiche die Betriebsbefragung umfasst, je detaillierter sie beleuchtet werden und je größer der Betrieb ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass eine einzige Person alle Fragen gleichermaßen gut und verlässlich beantworten kann. Es kann dann sinnvoll sein, die Aufgabe auf mehrere Schultern zu verteilen, indem verschiedene Experten aus dem Betrieb an der Beantwortung des Fragebogens mitwirken. So wird es  vielfach auch gehandhabt: Beispielsweise wurden in der Deutschen Innovationserhebung 2015 rund 29 Prozent der Papierfragebögen und 23 Prozent der Online-Interviews durch mehr als eine  Person beantwortet.

Bei einer Erhebung mittels Papierfragebogen ist die Verteilung auf mehrere Auskunftspersonen relativ einfach, indem eine Person zunächst alle Fragen aus ihren Themenbereichen beantwortet und anschließend den Fragebogen für die Beantwortung der übrigen Fragen im Betrieb weitergibt. Dabei ist es unerheblich, ob die erste Auskunftsperson ganze Themenblöcke oder nur einzelne Fragen in verschiedenen Blöcken zunächst unbeantwortet lässt, da die unbeantworteten Fragen in einem Papierfragebogen für die nächste(n) Auskunftsperson(en) leicht zu identifizieren sind.

Bei einer Erhebung über einen linear aufgebauten Online-Fragebogen, in dem die Fragen in einer festgelegten Reihenfolge angezeigt werden, ist das für die Betriebe demgegenüber deutlich schwieriger zu organisieren. Der Fragebogen kann von der Auskunftsperson zwar jederzeit unterbrochen und später vervollständigt werden, nachdem die fehlenden Informationen eingeholt wurden – diese Vervollständigung kann jedoch sehr aufwendig sein, wenn dazu große Teile des Fragebogens erneut in Gänze durchgegangen werden müssen. Je mehr Kollegen in die Beantwortung des Fragebogens einbezogen werden, umso aufwendiger ist es, die Beantwortung eines Online-Fragebogens auf diese Weise zu  organisieren. Dies birgt das Risiko, dass selbst bei einem eigentlich befragungsbereiten Betrieb eine Reihe von Fragen oder auch der gesamte Fragebogen unbeantwortet bleiben. Darüber hinaus leidet die Qualität der Antworten durch fehlerhaft nachgetragene oder nur grob geschätzte Eingaben.

Durch die Anwendung einer sogenannten Delegationsfunktion im Online-Fragebogen kann diesen Problemen begegnet werden. Dabei kann eine Auskunftsperson diejenigen Teile des Fragebogens, zu denen sie selbst keine Informationen besitzt, unmittelbar und in beliebiger Reihenfolge per E-Mail an sachkundige Kollegen im Betrieb weiterleiten. Diese Kollegen können dann auf die an sie delegierten Fragebogenteile zugreifen und sie selbstständig beantworten. Die Verantwortung für die Delegation von Fragebogenteilen und die Organisation von deren Beantwortung verbleibt dabei aber jederzeit bei der zentralen Auskunftsperson im Betrieb.

infas setzt eine solche Delegationsfunktion derzeit in zwei laufenden Projekten ein: in der Deutschen Innovationserhebung 2022 (Auftraggeber Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung) und der Studie „Betriebe und berufliche Arbeitswelten in Deutschland“ (Auftraggeber Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung in Kooperation mit der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg).

Für die Nutzung dieser ursprünglich von der Gesellschaft für Software in der Sozialforschung mbH (GESS) entwickelten Funktion wurden die Fragebögen in beiden Erhebungen zunächst zu inhaltlich in sich abgeschlossenen Themenblöcken zusammengefasst. Damit soll die Nutzung der Delegation für die Betriebe möglichst einfach gehalten werden, indem ein bestimmter Fragenblock innerhalb des Betriebs nur an eine Person weitergeleitet werden muss, die dann alle Fragen in diesem Block beantworten kann.

Über die Navigationsleiste erhält die Auskunftsperson einen Überblick über die einzelnen Themenbereiche sowie deren konkrete Inhalte. Sie kann über diese Leiste die verschiedenen Blöcke und auch die Frageseiten innerhalb eines jeden Blockes direkt ansteuern und in beliebiger Reihenfolge beantworten. Dort wird auch angezeigt, wie vollständig die Frageseiten bzw. -blöcke bereits bearbeitet wurden.

Die zentrale Auskunftsperson kann dann einen oder mehrere Teile des Fragebogens für die Beantwortung an andere Experten im Betrieb delegieren (siehe Abbildung links). Damit die unmittelbare Zuordnung der Befragung zur zentralen Auskunftsperson gegeben ist, bleibt mindestens ein Themenblock von der Delegation ausgenommen. Als zusätzliche Unterstützung für die Befragten verfügt das Tool über eine in den Fragebogen integrierte E-Mail-Funktion, mit der ein zuvor durch den Fragebogenersteller festgelegter Einladungstext mit individuellem Zugangslink an den zuständigen Kollegen übermittelt wird. Alternativ kann sich die Auskunftsperson einen generierten Zugangslink anzeigen lassen und diesen selbst mit einem beliebigen E-Mail-Programm oder auch einem Messenger versenden.

Solange Fragebogenteile delegiert sind, ist ein Aufruf durch die ursprüngliche Auskunftsperson nicht möglich. Sie kann die Delegation aber jederzeit beenden, um den Themenblock doch selbst zu beantworten oder ihn an eine andere Person zu delegieren. Die kontaktierte Person hat so lange Zugriff auf den delegierten Fragebogenteil, bis eine zuvor gesetzte Frist abgelaufen ist oder der Hauptansprechpartner die Delegation beendet.

Die Übermittlung des final bearbeiteten Fragebogens an das Erhebungsinstitut wird schließlich durch den zentralen Ansprechpartner angestoßen. Um zu verhindern, dass die Auskunftsperson die Datenübermittlung mit noch offenen delegierten Fragebogenteilen vorzeitig initiiert, kann eine entsprechende Fehlermeldung in den Fragebogen aufgenommen werden.

 

Weitere Anwendungsmöglichkeiten
Die Anwendungsmöglichkeiten der vorgestellten Delegationsfunktion sind vielfältig und nicht nur auf Betriebs oder Unternehmensbefragungen beschränkt. Die Delegationsfunktion kann immer dann angewendet werden, wenn die Beantwortung von Interviewteilen durch andere Personen über den zentralen Ansprechpartner hinaus wünschenswert ist. Auch Haushaltsstudien, in denen mehrere Mitglieder eines Haushalts zu ihrer persönlichen Situation befragt werden, sind ein solcher Anwendungsfall. Hier kann die Delegationsfunktion dazu genutzt werden, dass der Hauptansprechpartner bzw. Haushaltsvorstand die an andere Haushaltsmitglieder gerichteten Fragebogenteile selbstständig an diese übermittelt. Auch in einem Methodenmix aus CATI und CAWI wäre eine Nutzung der Delegationsfunktion vorstellbar. Der CATI-Interviewer würde sie direkt während des Interviews nutzen, um Fragebogenteile anderen kundigeren Personen zuzuordnen oder – bei Unterbrechung des Interviews – die Befragungsperson selbst zur nachgelagerten Onlinebefragung einzuladen. Des Weiteren ließen sich auch sensible, vertrauliche oder optionale Fragenteile während eines CATI-Interviews an die Befragungsperson, zur nachträglichen Bearbeitung in CAWI, weiterleiten.

Die Delegationsfunktion bietet somit das Potenzial, Erhebungen qualitativ hochwertiger, zielführender und für die Befragungspersonen angenehmer zu gestalten und damit die Qualität der erhobenen Daten zu erhöhen.

Dieser Beitrag ist in Lagemaß, Ausgabe 12 erschienen. Zum Magazin

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Foto von Priscilla Du Preez auf Unsplash