Haben Sie sich schon einmal bewusst dafür entschieden, eine bestimmte Handlungs- oder Denkweise abzulehnen, mit der zumindest nach Ihrem Empfinden alle anderen konform gehen? Oder etwas bildhafter ausgedrückt: Schwimmen Sie manchmal gegen den Strom, indem Sie etwas prinzipiell ablehnen?
Verweigerung kann auf ganz unterschiedliche Weise Ausdruck finden und sowohl im privaten, beruflichen als auch im politischen Bereich auftreten. Mal erfordert Verweigerung besonderen Mut, vor allem wenn es um individuelle Entscheidungen geht. Mal kann Verweigerung auch zum Zeitgeist einer ganzen Generation werden. Auch in der Literatur und Musik wird das Thema Verweigerung immer wieder aufgegriffen. Bei Melvilles Lebensverweigerer Bartleby und dem Suppenkaspar im Struwwelpeter endete die Verweigerung im tragischen Tod der Hauptfigur. Bei der Band „Die Ärzte“ ist es der trotzige Rebell, der singt: „Ich bin dagegen, denn ihr seid dafür. Ich bin dagegen, ich bin nicht so wie ihr.“
Doch bei all dieser Dramatik sollte an dieser Stelle angeführt werden, dass Verweigerung zwar aus Protest oder Kritik entstehen kann, aber eben nicht muss. Vielmehr kann die Ablehnung bestimmter Dinge auch Ausdruck von Souveränität und Freiheit sein und dabei durchaus lebensbejahend und ohne pädagogischen Zeigefinger erfolgen. Je nach sozialem Umfeld und Thematik ist Verweigerung sogar ganz normal. infas hat sich im Februar und März 2014 auf die Suche nach Verweigerern gemacht – und sie auch gefunden. 1.500 repräsentativ ausgewählte Bundesbürger ab 18 Jahren wurden befragt, ob sie bestimmte Tätigkeiten aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnen. Herausgekommen sind überraschende Ergebnisse, aber auch Bestätigungen.
Gemüse ist mein Fleisch
Seit geraumer Zeit ist die vegetarische Lebensweise nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in deutschen Supermärkten und Kantinen (mehr oder weniger) angekommen. Über die letzten Jahre gesehen hat der Anteil an Bundesbürgern, die prinzipiell kein Fleisch essen, deutlich zugenommen. Diese Aussage kann getroffen werden, ohne sich allzu vertieft mit Definitionen wie vegetarisch, pescetarisch oder flexitarisch zu befassen.
Die Befragten in den neuen Bundesländern sind seltener Fleisch-Verweigerer. Hier liegt der Anteil nur bei vier Prozent – gegenüber acht Prozent in der Gesamtbevölkerung.
Während sich nach der Nationalen Verzehrstudie von 2007 mit 20.000 Teilnehmern noch rund zwei Prozent der erwachsenen Bevölkerung nach eigenen Angaben fleischlos (entweder vegetarisch oder mit Einbeziehung von Fisch) ernährt haben, sind es 2014 schon acht Prozent der deutschen Bevölkerung, die Fleischkonsum grundsätzlich ablehnen. Trotz der schwierigen Vergleichbarkeit solcher Zahlen, ist die Tendenz eindeutig. Die Fleisch-Verweigerer befinden sich demnach inzwischen in guter Gesellschaft von rund 6,5 Millionen Mitbürgern.
Doch halt: Ist der Vegetarier männlich, zwischen 55 und 64 Jahren, im Osten wohnhaft und nicht erwerbstätig, wird er in seinem Umfeld deutlich weniger Mitstreiter finden. Genauso wie in bildungsfernen und ökonomisch sehr schlecht gestellten Schichten, sind Vegetarier in diesen Teilen der Gesellschaft eher unterrepräsentiert.
Internet? Lehne ich ab
Für die heranwachsende Generation wird es noch unvorstellbarer sein als für uns – ein Leben ohne Internet. Und doch gibt es sie und ihre Anzahl ist nicht unbedingt gering: Personen, für die das Internet tatsächlich noch Neuland ist. Oder grundlegender noch: Personen, die das Internet aus Prinzip ablehnen. Das tut nämlich gut jeder zehnte Bundesbürger. Man ahnt, wo sie zu finden sind: in der Rentner-Generation über 65 Jahre mit geringem Bildungsabschluss und geringem Einkommen. Zweiter vorhersehbarer Fakt: Wer Kinder hat, beziehungsweise mit Kindern im Haushalt lebt, wird die Internetnutzung eher nicht ablehnen.
Wenn es dann um spezielle Handlungen im Internet geht, wächst die Zahl der Ablehner rasant. E-Mails schreiben lehnt jeder fünfte Befragte ab, Onlinebanking schon knapp 40 Prozent und mit Facebook will die Hälfte der Befragten nichts zu tun haben. Wenn man sich diese Gruppen näher anschaut, zeigt sich bei den E-Mail-Verweigerern ein ähnliches Bild wie bei den Personen, die das Internet insgesamt ablehnen – allerdings mit noch klareren Tendenzen innerhalb der unterschiedlichen Alters- und Bildungsgruppen.
Bei den Onlinebanking-Verweigerern spielt der ökonomische Status eine weniger starke Rolle; Geschlecht, Alter und Bildung sind jedoch ausschlaggebende Faktoren. Eine Frau, die über 45 Jahre alt ist und ein niedriges Bildungsniveau hat, befindet sich in dieser Gruppe in bester Gesellschaft. Ein 25-jähriger Mann im Studium wird sich da schon eher rechtfertigen müssen. Interessanterweise dreht sich das Geschlechterverhältnis auch beim Online-Einkauf nicht um – trotz Zalando & Co. Jeder fünfte Mann und jede dritte Frau lehnt Online-Einkäufe prinzipiell ab. Personen mit Kindern im Haushalt liegen hier mit etwas über zehn Prozent Ablehnung deutlich unter dem Bundesdurchschnitt.
Sorgen muss sich der Online-Handel wegen der Verweigerer natürlich nicht machen – ganz im Gegenteil. Knapp die Hälfte (46 Prozent) der Deutschen kauft beim Giganten Amazon ein. Bei den 18- bis 24-Jährigen liegt der Anteil bei 65 Prozent, bei den 25- bis 34-Jährigen sogar bei 79 Prozent. Doch weg vom „neuen“ Medium Internet zum „old school“-Medium Fernsehen. Hier beläuft sich der Anteil der Verweigerer auf gerade einmal fünf Prozent. Was die zukünftige Entwicklungsfähigkeit angeht, sieht es dennoch nicht so gut fürs Fernsehen aus. Die Fernseh-Verweigerer sind nämlich jung. In der Altersgruppe 18 bis 24 Jahre lehnen inzwischen 16 Prozent fernsehen grundsätzlich ab – genauso viele sind es in der Gruppe der Auszubildenden und Studierenden. Zum Vergleich: Nur zwei Prozent der über 55-Jährigen verweigern sich dem Fernsehkonsum und nur ein Prozent der Rentner.
Frauen kaufen seltener als Männer im Internet ein, sind dafür aber fleißige Nutzerinnen von Kundenkarten wie Payback etc. Während 42 Prozent der Frauen eine Payback-Karte nutzen (innerhalb der letzten 24 Monate), sind dies bei den Männern nur 26 Prozent. Frauen kaufen demnach zwar eher „analog“, aber trozdem nicht weniger transparent als die männlichen Online- Shopper ein.
Das Ergebnis bedeutet natürlich nicht, dass die jungen Fernseh-Verweigerer nur noch Bücher zur Hand nehmen. Hier bietet das Internet mit seinen vielen Streaming- oder Download-Portalen ganz klar neue, flexible und vor allem individuelle Entertainmentmöglichkeiten. Knapp die Hälfte der jungen Erwachsenen bis 24 Jahre gibt an, sich mindestens ab und zu Musik oder Filme downzuloaden, 71 Prozent schauen TV im Internet. Daher ist die Verweigerung des „normalen“ Fernsehkonsums wohl auch weniger als Ausdruck von Protest oder Kritik, sondern vielmehr als Entscheidung für die technische Alternative und mehr Flexibilität zu verstehen.
Gesund, gesund
Ein Drittel aller Bundesbürger lehnt Alkoholkonsum aus Prinzip ab. Wow! werden die einen denken – ja und? die anderen. Die Einschätzung dieses Wertes hängt wohl ein wenig mit der subjektiven Erfahrung zusammen. Studenten und Auszubildende sind in der Gruppe der Alkohol-Verweigerer mit neun Prozent deutlich unterrepräsentiert. Als Studienanfänger darf man also beruhigt sein: Auch in Zeiten von Bachelor und Master wird eben nicht nur gelernt. In der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen sind die Alkohol-Verweigerer ebenso deutlich in der Minderheit (17 Prozent) – keine Auffälligkeiten gibt es bei den anderen Altersgruppen.
Dass viele muslimische Mitbürger aus religiösen Gründen Alkohol ablehnen, zeigen die Ergebnisse indirekt. Die Gruppe der Befragten mit Migrationshintergrund verweigert Alkohol überproportional häufig (43 Prozent). „Sport ist Mord“ ist zwar eine schöne Redewendung, aber trotzdem lehnen nur sieben Prozent es grundsätzlich ab, Sport zu treiben. Die hohe Zustimmungsrate zur sportlichen Betätigung spiegelt leider nicht die tatsächliche Umsetzung wider.
Wie eine frühere infas-Studie für die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände zeigt, unternahmen 2008 knapp ein Fünftel der Deutschen nie sportliche Aktivitäten. Sport-Verweigerer finden sich häufiger in der Gruppe der Erwerbslosen und bei Personen mit niedrigem Haushaltsnettoeinkommen. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Blick auf Personen, die hinsichtlich politischer Wahlen gleichgültig sind – das heißt, sie gehen nicht oder nur selten zur Wahl, interessieren sich nicht für den Wahlkampf und geben an, das Wählen manchmal zu vergessen oder keine Zeit zu haben. Angesichts 17 Prozent innerhalb der Bevölkerung hat diese Gruppe durchaus „Gewicht“ und zwar vermutlich nicht nur im übertragenen Sinne: Sie sind nämlich im Vergleich zum Durchschnittsbürger auch doppelt so häufig Sportmuffel.
Personen, die alleine leben, lehnen überproportional häufig Diäten ab. Oder werden einfach nicht gezwungen, eine zu machen?!
Aber abnehmen kann man ja schließlich auch mit Diäten. Das könnten zumindest einige der Befragten denken, die Diäten nicht grundsätzlich ablehnen (42 Prozent). Und sollten Sie dem Vorurteil aufgesessen sein, dass Diäten eher Frauensache sind, hier kommt der Gegenbeweis: Während exakt die Hälfte aller Frauen Diäten verweigert, sind es bei den Männern nur 42 Prozent. Dies sagt im Umkehrschluss allerdings auch leider nichts über das Geschlechterverhältnis bei durchgeführten Diäten aus.
Die Ergebnisse zeigen, wie unterschiedlich die Verweigerungslandschaft aussieht – sowohl was die Themen als auch was die Verweigerer selbst angeht. Wer also in Zukunft ganz im Sinne von Bartleby öfter mal „Ich möchte lieber nicht“ sagen will, weiß seine Entscheidung vielleicht jetzt besser einzuschätzen. Ob mutige/r Rebell/in oder doch eher Mitläufer/in – was die Statistik Ihnen nicht zeigt, wird wohl spätestens an den Reaktionen Ihres Umfelds deutlich. Wie heißt es so schön: Probieren geht über Studieren!