Die Diskussion um Klimakompensation ist nicht einfach. Einerseits kann eine solche Kompensation als eine Brücke oder Übergangslösung im Klimaschutz gesehen werden. Andererseits wird sie auch im Zusammenhang mit Begriffen wie Ablasshandel oder Bluff genannt. Dabei klingt das Konzept gut: Per Klimakompensation sollen klimaschädliche Emissionen, die bei unvermeidbaren oder auch vermeidbaren Aktivitäten und Produktherstellungen entstehen, ausgeglichen werden. Und zwar, indem in Projekte investiert wird, die an anderer Stelle Emissionen gezielt einsparen. Dabei gibt es für Verbraucherinnen und Verbraucher eine Vielzahl von Angeboten, aus denen ausgewählt werden kann. Ob eine Handcreme, deren Herstellungsemissionen laut Hersteller kompensiert wurden, oder die Option, beim Buchen einer Flugreise die anfallenden CO2-Emissionen an anderer Stelle einzusparen.
Die Seriosität und Effektivität der verschiedenen Angebote und der damit verbundenen Kompensationsprojekte wird in Fachkreisen heiß diskutiert. Auch die kürzliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die Verwendung des Worts „klimaneutral“ für Produkte als unzulässig einzustufen, wurde öffentlich besprochen.
Trotz dieser Diskussionen ist bislang unerforscht, wie die Bevölkerung in Deutschland der freiwilligen Klimakompensation gegenübersteht. Ist das Thema den Menschen überhaupt bekannt? Wenn ja, wie häufig wird (bewusst) kompensiert? Als wie seriös werden die Angebote empfunden? Was würde es brauchen, um die Kompensationsbereitschaft der Deutschen zu erhöhen, und welche Informationen oder Siegel sind notwendig, um ihnen die richtige Wahl eines Produkts zu ermöglichen?
Wer fragt wen, und warum?
Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigt sich infas gemeinsam mit den beiden Projektpartnern adelphi research und sustainable im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) im Rahmen einer Erhebung zum Fortschreiten der Analyse des deutschen Marktes für freiwillige Kompensation. Projektziele sind dabei, Erkenntnisse zur bisherigen Kenntnis, Akzeptanz und Nutzung von Kompensationsoptionen in der Allgemeinbevölkerung zu ermitteln sowie den deutschen Markt für die freiwillige Kompensation abzubilden.
adelphi research als federführender Projektpartner ist ein unabhängiger, wissenschaftlicher Thinktank für umwelt- und entwicklungspolitische Forschung und Analyse. sustainable berät Unternehmen zum Nachhaltigkeits- und Klimamanagement. Im Rahmen des Projekts führen adelphi und sustainable unter anderem eine Recherche zu bestehenden Kompensationsanbietern in Deutschland sowie eine Befragung dieser durch. Damit reiht sich das Forschungsprojekt in eine Projektreihe des UBA zur Analyse des deutschen Marktes für freiwillige Kompensation ein. Neu ist, dass das aktuelle Forschungsprojekt auch eine repräsentative Befragung der in Deutschland wohnhaften Bevölkerung umfasst, welche infas auf Basis einer Einwohnermeldestichprobe durchführt.
Die Einwohnermeldestichprobe:
Die Einwohnermeldestichprobe gilt als der Königsweg in der empirischen Sozialforschung. infas ist eines der wenigen Sozialforschungsinstitute, das für wissenschaftliche Erhebungen bundesweite Einwohnermeldestichproben ziehen kann. Die Einwohnermeldestichprobe basiert auf einer Zufallsauswahl auf Basis lokaler Melderegister. Die Daten werden anschließend in eine Klumpenstichprobe überführt. Einwohnermeldestichproben haben zahlreiche Vorteile: Zum einen darf die Datenqualität und Datenvollständigkeit als sehr hoch eingestuft werden. Zum anderen sind Daten von Nichtteilnehmern bekannt, sodass Non-Response-Analysen durchgeführt werden können. Für die Umsetzung einer Einwohnermeldestichprobe müssen die beteiligten Gemeinden kontaktiert werden, die Daten übernommen und zusammengeführt werden. infas verfügt über die Ressourcen und Erfahrungen, bei zahlreichen Ämtern gleichzeitig erfolgreich Adressziehungen zu beantragen und aus den Daten eine Gesamtstichprobe zu erstellen.
Bislang ist unerforscht, wie die Bevölkerung in Deutschland der freiwilligen Klimakompensation gegenübersteht.
Für das gesamte Forschungsprojekt mit seinen verschiedenen Projektbausteinen ist eine Laufzeit von etwa drei Jahren vorgesehen, wobei es sich derzeit noch im ersten Drittel befindet. Die Bevölkerungsbefragung durch infas ist für Anfang 2025 geplant. Rund 2.000 Personen der deutschsprachigen Wohnbevölkerung sollen auf Basis einer Einwohnermeldestichprobe befragt werden. Die Registerstichprobe ermöglicht es, qualitativ hochwertige Befragungsdaten zu erhalten. Die Befragung findet überwiegend als Online-Erhebung statt, kann aber bei individuellem Bedarf auch als Telefoninterview (CATI) durchgeführt werden. Durch einen solchen Multi-Method-Einsatz können beispielsweise auch nicht online-affine Personen einbezogen werden.
Was wird erfragt?
Bei der Erstellung des Erhebungsinstruments für die Bevölkerungsbefragung galt es, dieses inhaltlich so neutral wie möglich zu gestalten. Erfasst werden sollen Einstellungs- und Handlungsmuster in der Bevölkerung zur Kompensation sowie zum freiwilligen Klimaschutzmanagement. Dabei geht es einerseits um die Einstellung zu und das Wissen über u. a. Klimaschutz und -kompensation, Siegel und Zertifikate oder den eigenen ökologischen Fußabdruck. Kennen die Menschen überhaupt die Option, sich bei der Buchung von Bus- oder Flugreisen an Kompensationsmaßnahmen zu beteiligen? Oder wie viele suchen sich ganz bewusst und informiert Projekte aus, die eine effektive Einsparung von Klimagasen versprechen?
Andererseits stehen konkrete Angaben zum bisherigen Kompensationsverhalten im Fokus, ebenso wie die Bewertung solcher Maßnahmen, deren Vertrauenswürdigkeit und Effektivität, mediale Wahrnehmung oder auch generelle Erwartungen an deren Qualitätskriterien. Spielt es beispielsweise eine Rolle, ob man durch den finanziellen Beitrag Projekte innerhalb Deutschlands, Europas oder im globalen Süden unterstützt? Wie teuer darf es sein? Und nicht zuletzt interessiert die Frage, welche Barrieren und Hinderungsgründe für eine mögliche Teilnahme an der Klimakompensation ermittelt werden können?
Und dann?
Abgerundet werden soll das Projekt durch einen ausführlichen Abschlussbericht sowie eine Fachveranstaltung im Spätsommer/Frühherbst 2026, mit dem Ziel, die Erkenntnisse der Befragung auch politisch verwertbar zu kommunizieren und aufzubereiten. Die Ergebnisse könnten Implikationen darüber liefern, welchen Informationsbedarf es zu decken gilt, beispielsweise um die Kompensationsaffinität oder das Klimaschutzbewusstsein zu erhöhen. Der Öffentlichkeit wird eine Broschüre mit Kerninhalten zur Verfügung gestellt. Damit auch die Bevölkerung erfährt, was die Mitmenschen über Klimakompensation (nicht) wissen und, im Sinne des aktuellen Lagemaß-Titels, aus welchen Angeboten sie wählen kann.
Zum Weiterlesen:
Webseite des UBA: www.umweltbundesamt.de
CO₂-Bilanzrechner: https://uba.co2-rechner.de/de_DE/
Freiwillige CO₂-Kompensation: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/376/publikationen/ratgeber_freiwillige_co2_kompensation_final_internet.pdf
Dieser Beitrag wurde zuerst in Lagemaß 14 „wählen“ veröffentlicht.