Einfluss psychischer Belastungen am Arbeitsplatz auf das Neuroenhancement. Eine Studie bei vier besonders belasteten Arbeitnehmergruppen

Neuroenhancement – populärwissenschaftlich auch als „Gehirndoping“ bezeichnet – steht für den Versuch gesunder Menschen, die kognitive Leistungsfähigkeit und das psychische Wohlbefinden durch die Einnahme von verschreibungspflichtigen Medikamenten ohne eine medizinische Indikation zu verbessern. Über Neuroenhancement liegen erheblich voneinander abweichende epidemiologische Befunde vor.

Die berichteten Einnahmequoten variieren von 1,7 Prozent bei einem Bevölkerungsdurchschnitt bis zu über 20 Prozent bei Studierenden. Einmal abgesehen davon, dass zum Teil unterschiedliche Messkonzepte verwendet werden, liegen bislang keine Untersuchungen über den Zusammenhang von Arbeitsbelastungen und Neuroenhancement vor.
Im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hat ein Konsortium bestehend aus dem infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft und dem Institut für Suchtforschung und Prävention (ISuP) den Zusammenhang zwischen Arbeitsbelastungen und Neuroenhancement untersucht. Für die Prüfung dieser Annahme wurden vier Berufe ausgewählt, die sich durch hohe Anforderungen an zeitliche, kognitive, physische oder psychische Dauerleistungen auszeichnen. In einem dreistufigen Untersuchungsansatz wurden 4.166 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Ärzte, Programmierer, Werbefachleute und Publizisten zunächst in einem einstündigen persönlichen Interview befragt (CAPI). Um einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Belastungen und Neuroenhancement zu beobachten, wurde in einem zweiten Untersuchungsschritt eine Substichprobe von 724 Personen gebeten, eine Woche lang ein Tagebuch zu führen. Sie protokollierten ihre tägliche Arbeitsbelastung, die Einnahme von Medikamenten, ihren Gesundheitszustand, aber auch ihre Freizeitaktivitäten. In einem dritten Schritt befragten wir schließlich 32 Arbeitnehmer, die in der Befragung als manifeste Enhancer identifiziert wurden. In einem Tiefeninterview äußerten sich die Betroffenen zu ihren Motiven für die Substanzeinnahme. Die Studie belegt einen klaren Zusammenhang zwischen Arbeitsbelastungen und der mentalen Gesundheit. Wie im sogenannten Anforderungs-KontrollModell von Karasek und Theorell theoretisch vorausgesagt, erhöhen belastende Arbeitsbedingungen bei allen vier Berufsgruppen die Wahrscheinlichkeit für Symptome psychischer Beeinträchtigungen. Diese Belastungen führen allerdings nur bei einem kleinen Teil der befragten Arbeitnehmer zur Einnahme von leistungssteigernden Arzneimitteln. Die Vierwochenprävalenz liegt bei 1,25 Prozent und die Jahresprä­ valenz beträgt 2,80 Prozent. Die Einnahmequote ist damit deutlich geringer, als dies befürchtet worden war. Die Lebenszeitprävalenz („jemals eingenommen …“) beträgt allerdings 8,30 Prozent und lässt auf eine latente Bereitschaft zum Neuroenhancement schließen. Das Ergebnis ist unter gesundheitspolitischen Aspekten zu begrüßen. Die Erklärung für die geringe Prä­ valenz geben die Tiefeninterviews mit aktiven Enhancern. Arzneimittel bzw. Wirkstoffe nehmen diese nur punktuell ein, wenn die Sorge wächst, den Arbeitsbelastungen nicht gewachsen zu sein. Neuroenhancement dient in erster Linie dem Leistungserhalt in einer alternativlos erscheinenden Situation und nicht der Vorteilnahme durch den Einsatz verbotener Substanzen. Die Studienergebnisse geben vielmehr Hinweise darauf, dass der Griff zu leistungserhaltenden Substanzen durch ein Zusammenspiel von hohen Arbeitsbelastungen und bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen begünstigt wird. Die Veröffentlichung der Studie bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedien ist in Vorbereitung.