Mobile Personen – was tun, damit sie in der Stichprobe nicht verloren gehen?

Mobilität beschäftigt uns in der Umfrageforschung nicht nur als Untersuchungsgegenstand oder bei inhaltlichen Fragestellungen. Sie kann unter anderem ein Grund dafür sein, warum von uns ausgewählte und kontaktierte Personen nicht teilnehmen können. Nicht-Teilnahme, egal ob aus Gründen fehlender Erreichbarkeit oder weil eine Person explizit verweigert, bedeutet immer einen Ausfall einer Stichprobeneinheit. Ausfälle jeglicher Form bergen immer das Risiko einer Verzerrung, einer Selektivität bzw. eines Ausschlusses bestimmter Gruppen.

Es ist naheliegend, dass bei einer Studie zum Mobilitätsverhalten mobile Zielpersonen einbezogen werden müssen, damit das Ausmaß der tatsächlichen Mobilität nicht nur auf Basis der Personen ermittelt wird, die jederzeit zu Hause angetroffen werden können. Oder umgekehrt: Sogar nicht mobile Personen müssen motiviert werden, an einer solchen Studie teilzunehmen, um ein zuverlässiges Bild zu erhalten. Aber auch im Zusammenhang mit anderen Fragestellungen kann Mobilität ein relevanter Einflussfaktor sein, wenn beispielsweise Bedingungen für den Übergang von Ausbildung in den Beruf bei jungen Erwachsenen untersucht werden.

Definition von Ausfallgründen

Die Surveymethodologie kennt unterschiedliche Strategien, mit denen Ausfälle vermieden werden können. Sie werden als „Best-Practice“-Regeln in vielen Studien der empirischen Sozialforschung praktiziert. In internationalen Studien wie beispielsweise dem European Social Survey (ESS) sollen sie als Mindestanforderungen formuliert dafür sorgen, dass die Datenerhebung in allen Ländern nach einheitlichen Standards erfolgt (Koch et al., 2012). Wichtig für den effektiven Einsatz unterschiedlicher Strategien ist eine genaue Identifikation der Ausfälle und ihrer spezifischen Gründe. Mit der Publikation „Final Dispositions of Case Codes and Outcome Rates for Survey“ der American Association for Public Opinion Research (AAPOR, 2011) steht in den Sozialwissenschaften eine Standarddefinition zur Verfügung, die auch in Deutschland breite Anerkennung findet. Innerhalb der Nicht-Teilnehmer werden dabei nicht erreichte Zielpersonen von Verweigerern differenziert. Während es bei Verweigerern sinnvoll sein kann, Interviewerwechsel vorzunehmen oder zusätzliche Incentives auszuschütten, sind bei nicht erreichten Zielpersonen ausgefeilte Kontakt- oder auch Nachverfolgungsstrategien erforderlich.

Kontaktstrategien im Telefon- und Face-to-Face-Feld

Eine hohe Variabilität der Kontaktversuche zu unterschiedlichen Tageszeiten und Wochentagen sowie über einen längeren Zeitraum führt nachweislich zu einem geringeren Anteil an nicht erreichten Personen. Nicht selten finden sich Vorgaben über die Mindestzahl an Kontaktversuchen oder die Vorgabe, dass jeder Wochentag einschließlich des Wochenendes innerhalb der Kontaktversuche vertreten sein muss.
Während bei Face-to-Face-Befragungen die Kontaktierungsstrategien maßgeblich durch den Interviewer beeinflusst werden, findet bei computergestützten telefonischen Befragungen eine Steuerung über die Software im CATI-Studio statt. Kontaktierungs- bzw. sogenannte Wiedervorlageregeln können beliebig definiert und den jeweiligen Studienanforderungen angepasst werden. So kann es sinnvoll sein, Kontaktversuche bei erwerbstätigen Personen erst am späten Nachmittag vorzunehmen, einen Kontakt zu Personen, die abends nicht erreicht werden konnten, beim nächsten Mal am Vormittag oder am Nachmittag zu suchen. Oder den Abstand zwischen den einzelnen Kontaktversuchen zu vergrößern, um möglichen längeren Abwesenheiten von Personen zu begegnen.
Der Umfang der Kontaktversuche bei telefonisch durchgeführten Studien erreicht schnell erhebliche Größenordnungen, da jeder Anrufversuch verbucht wird, unabhängig davon, ob eine Zielperson am anderen Ende der Leitung erreicht wurde oder nicht. So liegen nach Feldabschluss beispielsweise in der aktuellen infas-Erhebung zum Lebenslagenindex „ilex“ insgesamt über 250.000 Kontaktversuche für die Gesamtstichprobe vor.
Dazu gehören jedoch nicht nur geschaltete und prinzipiell erreichbare Telefonanschlüsse, sondern auch Nummern, die als solche vorher nicht sicher erkennbar sind. Durchschnittlich drei Kontaktversuche waren notwendig, um ein Interview zu realisieren. Zielpersonen, die bis zum Feldende nicht erreicht werden konnten, wurden durchschnittlich siebenmal angerufen.
Bei Face-to-Face-Befragungen sind Kontaktversuche mit einem ganz anderen Aufwand verbunden. Sie bedeuten in vielen Fällen, dass Interviewer eine Wegstrecke auf sich nehmen müssen, um eine Zielperson persönlich aufzusuchen. Auch wenn Face-to-Face-Interviewer einen ersten Zugang über einen telefonischen Kontakt unternehmen, sind es gerade die mobilen und schwer erreichbaren Zielpersonen, die einen persönlichen Besuch vor Ort unabdingbar machen. Nur so kann letztlich festgestellt werden, ob die telefonisch nicht erreichte Person tatsächlich noch unter der angegebenen Adresse wohnt. Strikt vorgegeben ist dabei in vielen sozialwissenschaftlichen Studien, dass eine Zielperson nur dann als endgültig nicht erreichbar deklariert werden darf, wenn der Interviewer vor Ort seine Kontaktversuche über Uhrzeit und Wochentage variiert hat. Es ist naheliegend, dass für solche Studien die Feldzeit oftmals mehrere Monate in Anspruch nimmt und der Aufwand aufseiten der Interviewer nicht ohne eine adäquate Erstattung akzeptiert wird. Im European Social Survey (ESS), für den infas die 7. Welle der deutschen Teilstudie im Herbst/Winter 2014 durchgeführt hat, wurden fast 20 Feldwochen benötigt, um die vorgegebene Stichprobe maximal auszuschöpfen. Vier Kontaktversuche waren durchschnittlich erforderlich, um ein Interview vor Ort zu realisieren. Bis zum Feldende nicht erreichte Zielpersonen wurden durchschnittlich fünfmal erfolglos besucht.

Trackingmaßnahmen in Panelstudien

Über die oben dargestellten ausgefeilten Kontaktstrategien hinaus reichen Bemühungen um mobile Personen in Panelstudien. Dabei steht im Mittelpunkt die Problematik der sogenannten Panelmortalität, also der Ausfall einzelner Beobachtungseinheiten über die Erhebungswellen aus dem Panelbestand. Es kann zu temporären Ausfällen für einzelne Erhebungswellen oder auch zum endgültigen Ausfall für den weiteren Beobachtungszeitraum kommen. Ausfälle aufgrund von Adressproblemen oder Umzügen der Befragungspersonen stellen dabei einen wesentlichen Ausfallgrund für Panelstudien dar, die mit sogenannten Trackingmaßnahmen vermieden werden sollen. Unter Tracking versteht man in der Regel das Ermitteln von Befragten, die ansonsten für eine Befragung im Rahmen einer Panelstudie verloren wären bzw. nicht interviewt werden könnten. In Anlehnung an die bei Couper & Ofstedal (2009: 190) differenzierten Trackingmaßnahmen werden bei infas Maßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen eingesetzt. Diese Maßnahmen können nach drei Bereichen kategorisiert werden.

  • Proaktive Trackingmaßnahmen wie Anschreiben vor Studienstart; Dankschreiben am Studienende; Mailings zwischen den Erhebungswellen; Plattformen, die zur Adressaktualisierung online zur Verfü­ gung gestellt werden etc.
  • Zentrale Trackingmaßnahmen wie Adressrecherchen in zentralen Registern; Einwohnermeldeamtsrecherchen, Internetrecherchen und weitere Möglichkeiten. Diese Maßnahmen erfolgen bei infas feldbegleitend. Einmal im Monat werden dafür studienübergreifend in Panelbefragungen alle Fälle mit Adressproblemen abgezogen und Rechercheanfragen an Einwohnermeldeämter verschickt. 2014 hat infas über 4.000 Einzelanfragen an Einwohnermeldeämter verschickt. Die Anfragen müssen – bis auf wenige Ausnahmen in bestimmten Bundesländern – einzeln an die jeweiligen Einwohnermeldeämter der Gemeinden gerichtet werden. Die Anfragen bei den Einwohnermeldeämtern sind gebührenpflichtig
  • Feld-/Interviewertracking wie Nutzung vorhandener Telefonnummern (Festnetz und Mobilfunk) besonders im CATI; Recherche vor Ort etwa bei Nachbarn oder ein Wechsel der Einsatzmethode. Für die systematische Nutzung vorhandener Telefonnummern ist ein automatischer Vorlageprozess installiert, der dafür sorgt, dass aus dem Adressbestand nacheinander alle vorhandenen Telefonnummern versucht werden, so lange bis die Zielperson erreicht wurde oder keine weitere Telefonnummer im Bestand mehr zur Verfügung steht.

Trackingmaßnahmen sind besonders in Panelstudien relevant und ein zentrales Mittel, um Panelverluste zu reduzieren bzw. sie bereits im Vorfeld zu vermeiden. Gerade wenn Veränderungen in Längsschnittstudien gemessen werden sollen, ist es wichtig, (mobile) Personen in der Stichprobe zu halten, die in eine andere Region gezogen sind oder ihren Wohnsitz gewechselt haben.

Zentrale Trackingmaßnahmen im PASS

Aufwand und Erfolg für zentrale Trackingmaßnahmen haben wir im Panel Arbeitsmarkt und soziale Sicherung (PASS), das infas seit 2010 im Auftrag des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) mit jährlichen Erhebungswellen bearbeitet, näher untersucht. Wobei zu beachten ist, dass es sich bei PASS um ein Haushaltspanel mit Personen aus dem Arbeitslosengeld-II-Bezug handelt, die sicherlich besondere Verhaltensweisen im Hinblick auf Mobilität und Erreichbarkeit aufweisen. Im PASS sind zahlreiche Strategien und Maßnahmen zur Vermeidung von Panelverlusten implementiert. Die im Folgenden dargestellten Ergebnisse sind ein Auszug und zeigen das Resultat zentraler Trackingmaßnahmen in verfügbaren Registern. Recherchen wurden immer dann initiiert, wenn bei Panelteilnehmern die aus der Vorwelle vorhandenen Adressinformationen in der aktuellen Welle als ungültig identifiziert wurden (Basis PASS Welle 6, 2012).

Neben Einwohnermelderecherchen erfolgen durch infas im PASS Abgleiche im zentralen Register der Deutschen Post und manuelle Recherchen von Telefonnummern im Internet. Der größte Aufwand im Rahmen der zentralen Trackingmaßnahmen ist mit Rechercheanfragen bei den Einwohnermeldeämtern verbunden. Die Anfragen werden auf Einzelfallebene bearbeitet und müssen als sogenannte „Einzelauskunft aus dem Einwohnermelderegister“ bei den jeweiligen Ämtern der Gemeinden angefragt werden. Von den 1.204 Rechercheanfragen im PASS Welle 6 blieb ein Drittel der Anfragen unbeantwortet. Für Rückantworten mussten bis zu acht Wochen eingeplant werden. Gebühren fallen nur bei einer Rückmeldung an, auch wenn mit der Rückmeldung lediglich die vorhandene Adressinformation bestätigt wird. Für ein Viertel der Rechercheanfragen wurde eine neue Adressinformation zurückgemeldet. Die Gebührensätze variieren je Gemeinde und können durchaus über 10,Euro liegen.Zentrale Trackingmaßnahmen
Einen manuellen Aufwand und eine Einzelfallbehandlung verlangen ebenfalls die Recherchen im Internet. Dabei können lediglich Telefonnummern recherchiert werden. Mit einer Erfolgsquote von 15 Prozent fiel diese Recherche im PASS deutlich geringer aus als die anderen beiden Maßnahmen. Da Telefonnummern auch über die Adressfactory der Deutschen Post AG recherchiert werden können, wird im PASS inzwischen auf diese Maß­ nahme verzichtet.
Mit geringerem Aufwand ist die Recherche durch die Adressfactory möglich. Im Vergleich zu den anderen beiden Recherchemöglichkeiten lieferte sie im PASS auch den höchsten Anteil neuer Informationen (69 Prozent). Auch wenn in den Rückmeldungen teilweise nur eine korrigierte Schreibweise enthalten war, so ist der Anteil durchaus beachtlich. Vorteil der Adressfactory ist auch, dass Telefon- und Mobilfunknummern Bestandteil der Recherchen sind. Die Anfragen werden innerhalb eines Tages gebündelt bearbeitet. Gebühren fallen hier nur an, wenn eine neue Adressinformation geliefert wird und liegen deutlich unter einem Euro.
Die Erfahrungen bei infas zeigen, dass mobile Personen nicht verloren gehen müssen. Es wird aber deutlich, dass der Aufwand und die Kosten nicht in jeder Studie tragbar oder angebracht sind. In Ad-hoc-Studien der Sozialwissenschaften wird man zumindest auf eine sorgfältige Bearbeitung und Kontaktstrategie der Stichprobe achten. In Panelstudien wird man ohne weitere Trackingmaßnahmen nicht auskommen. Das Spektrum unterschiedlicher Maßnahmen ist aber auch hier je nach Studiendesign, verfügbarer Zeit und nicht zuletzt verfügbarem Budget zu entscheiden.

Zum Weiterlesen: The American Association for Public Opinion Research (2011): Standard Definitions: Final Dispositions of Case Codes and Outcome Rates for Surveys. 7th Edition. AAPOR, Lanexa, Kansas.
Couper, Mick P., Ofstedal, Mary Beth (2009): Keeping in Contact with Mobile Sample Members, in: Lynn, Peter (Hg.): Methodology of Longitudinal Surveys, Chichester
Koch, A., Fitzgerald, R., Stoop, I., Widdopr, S., Halbherr, V. (2012): Field Procedure in the European Socail Survey Round 6: Enhancing Response Rates. Mannheim: European Social Survey, GESIS.
Jesske, Birgit; Schulz, Sabine (2013): Methodenbericht Panel Arbeitsmarkt und Soziale Sicherung
PASS * 6. Erhebungswelle – 2012. (FDZ-Methodenreport, 10/2013 (de)), Nürnberg.