Wahl nach Herkunft

Zwei Personen unterhalten sich am Tisch

Wer bevorzugt welchen Erhebungsweg? Erkenntnisse aus der Erstbefragung des NaDiRa. Panels

In den vergangenen Jahren ist in der empirischen Sozial­for­schung ein Trend zu Multi-Mode-Studien und innerhalb dieser bevor­zugt zur Nutzung der Online-Variante (Push-to-Web) zu beob­achten. In diesem Zu­sammen­hang ist es je­doch wichtig, nicht nur da­rüber nach­zuden­ken, ob dies für die „allge­meine Bevölkerung“ funktioniert, sondern auch, wie das Forcieren von online den Bedürf­nissen spezieller Ziel­gruppen gerecht wird. Sei es, dass diese die Grund­gesamt­heit einer Umfrage bilden, sei es, dass sie eine Unter­gruppe innerhalb einer allge­meinen Bevölkerungs­umfrage sind. Die Erst­befragung im Rahmen des NaDiRa.Panels 2022 (Nationaler Diskriminierungs- und Rassis­mus­monitor), die infas im Auf­trag des Deutschen Zentrums für Inte­gra­tions- und Mig­rations­forschung (DeZIM) durchge­führt hat, bietet eine be­sondere Gelegen­heit, Heraus­for­derungen und Chan­cen von Push-to-Web-Befragungen bei be­stimmten Ziel­gruppen zu analysieren. Hier wurden Personen mit einer Migrations­geschichte aus unterschiedlichen Herkunftsregionen befragt. Generell sprechen für den wachsenden Trend zu „Push-to-Web“ zum einen die Kosten: CAWI-Befragungen sind günstiger als persön­lich-mündliche- oder telefonische Befragungen. Zum anderen ist durch die Online-Version eine zusätzliche Reichweite und eine größere Flexibilität bei der Umsetzung und für die Teilnehmen­den zu erwarten. Möglicherweise sorgt CAWI auch für einen besseren Zugang zu schwer erreichbaren Zielgruppen (hard-to-reach groups). Neben diesen positiven Faktoren sind auch Heraus­for­de­rungen zu diskutieren: Ist es mög­lich, diesen Trend auf alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen zu transferieren? Begünstigt der Einsatz von Push-to-Web das Risiko einer Unit-Non-Response-Verzerrung? Etwa, indem die Befragung via Internet zu stark forciert wird und bestimmte Bevölkerungsgruppen, etwa ältere Menschen, nicht erreicht werden? Andreas Genoni, Mitarbeiter beim Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, und Kollegen haben sich mit der Frage des Push-to-Web im Kontext der Auswanderung aus und Rückwanderung nach Deutschland befasst und zeichnen ein positives Bild: Auch die Durch­führung einer reinen Onli­ne-Befragung sei möglich. Sie verweisen jedoch auch darauf, dass bei der Verwendung von CAWI-Erhebungsmethoden herkunftsbezogene Merkmale (beispielsweise die wirtschaftliche Entwicklung des Herkunftslandes) zu berücksichtigen seien und das positive Bild trüben könnten. Vor diesem Hintergrund haben wir die Ergebnisse der Erstbefragung des NaDiRa.Panels danach untersucht, inwieweit sich die Nutzung von CAWI zwischen Migranten­gruppen in Deutsch­land unterscheidet. Wir sind der Frage nachgegangen, wie diese Unterschiede erklärt werden können und was wir aus diesen Ergebnissen ableiten können.

Der Nationale Diskriminierungs- und Rassismus­­moni­tor

Das NaDiRa.Panel ist ein Online-Access-Panel mit ei­ner wahr­scheinlichkeits­basierten Offline-Rekru­tierung. Die Studie wurde als Mixed-Mode-Studie konzipiert. Sie bestand aus einem CAWI-Instrument und einem Papier­fragebogen. Die Erhebung fußt auf einer Ein­wohner­melde­stichprobe der ge­samten deutschen Wohn­bevöl­kerung im Alter von 18 bis 70 Jahren. Die über­mittelten Adressen wurden ono­mastisch vor­quali­fiziert. Daraus konnten Stich­pro­ben von vier Herkunfts­regionen gebil­det werden, da­runter auch von solchen, deren Präva­lenz in der Bevöl­kerung nur sehr gering ist:
  • Türkei: Menschen mit türkischem Migrations­hinter­grund
  • Muslimische Länder: Personen mit mehrheitlich muslimischem Hintergrund, inkl. Nord-Afrika
  • Ost-/Südostasien: Menschen mit einer Her­kunfts­ge­schich­te aus ost- und südostasiatischen Län­dern
  • Afrika: Menschen mit einer Herkunfts­geschichte aus afri­ka­nischen Ländern (ohne Nord-Afrika)
  Balkendiagramm. Titel: Ausschöpfung der Erhebungsmethode. Deutliche Unterschiede je Herkunftsregion. In der CAWI-Variante des Fragebogens konnten die Be­frag­ten verschiedene Sprachen wäh­len: Englisch, Deutsch, Chinesisch, Vietnamesisch, Fran­zösisch, Ara­bisch und Türkisch. Der Papier­frage­bogen war nur auf Deutsch ver­fügbar. Dem Erst­an­schreiben lagen ein Pa­pier­frage­bogen und ein frankierter Rück­um­schlag sowie ein Umschlag mit 5 Euro (Prepaid-Incentive) in bar bei. Im dritten Erin­nerungs­schrei­ben wurde ebenfalls ein Papier­frage­bogen beigelegt. Mit Einver­ständ­nis zur Panel­teil­nahme wurde den Ziel­personen ein Dankschreiben mit weiteren 5 Euro in bar übermittelt. Alle Teil­nehmer hatten die Möglichkeit, sowohl online als auch per Papierfragebogen an der Um­fra­ge teil­zu­nehmen. Um den Zugang zum Online-Fragebogen zu forcieren, wurde zusätzlich zu den Zugangs­daten (Link und per­so­nali­siertes Pass­wort) ein per­sonali­sierter QR-Code auf das An­schreiben und den Frage­bogen gedruckt. Somit wurde auf dem Fragebogen die Möglich­keit zur Online-Be­fra­gung ausreichend hervorgehoben. Deskriptiv betrachtet, zeigen sich deut­liche Unter­schiede in den Response-Rates nach den be­nannten Gruppen. Die höchste er­zielt die Gesamt­be­völkerung mit rund 39,0 Prozent, gefolgt von der Grup­pe mit Herkunft aus ost- und südostasiatischen Ländern (29,5 Pro­zent) und Afrika (24,0 Prozent). Teil­nehmer mit Migrations­herkunft aus über­wiegend muslimi­schen Län­dern (22,4 Prozent) und Teilnehmer mit türkischem Migrations­hintergrund (20,0 Prozent) haben die geringste Response-Rate in diesem Vergleich. Ein weiteres interessantes Ergebnis ist der Unterschied in den Realisierungs­methoden zwi­schen den Gruppen. So zeigt sich beispielsweise, dass Teilnehmer mit ost- und südostasiatischem Hintergrund im Vergleich zu den anderen Gruppen die CAWI-Methode wesentlich häufiger nutzen als den Papierfragebogen (29,0 Prozent PAPI und 71,0 CAWI). Andererseits nutzten Personen aus afri­ka­nischen Ländern den Papier­fragebogen häufiger als Per­sonen aus anderen Migranten­gruppen (55,3 Prozent PAPI gegenüber 44,7 Prozent PAPI), allerdings in ähn­licher Wei­se wie die Gesamtbevölkerung. Dies ist besonders unter dem Aspekt interessant, dass alle Migranten­gruppen viel jünger waren als die Durch­schnitts­bevölkerung und der Annahme gefolgt wird, dass jüngere Personen eher die CAWI-Methode wählen.   Streudiagramm. Titel: Unterschiede bei der CAWI-Nutzung. Menschen aus Südostasien über und aus Afrika unter Durchschnitt. Die Analysestrategie bestand darin, die Gruppen­unter­schiede bei der Reali­sierungs­methode mit­hilfe von average marginal effects, AMEs (durch­schnitt­liche marginale Effekte), aus logis­tischen Regressionen der verschiedenen Gruppen und schrittweiser Einführung von Kontroll­variablenblöcken zu untersuchen. Unkontrolliert zeigen sich starke Unterschiede in den Herkunftsregionen in der Wahl der Erhebungs­methode im Vergleich zur restlichen Bevölkerung. Diese nehmen stark ab, wenn für „Alter/Geschlecht/Gemeindegröße“ kontrolliert wird. Aber auch mit dem Kontrollvariablenblock von „Fa­milien­­stand/Haus­­halts­­größe“ und „Be­schäf­ti­gung/Ein­­kom­men“ sowie den mi­grations­­­spezi­fischen Varia­blen „Sprache/Nationalität/Zuzugsdatum“ ver­schwin­­den die meisten Unter­schiede in der Wahl der Erhebungs­methode nicht voll­ständig. In der Grup­pe der Per­sonen mit süd­ostasiati­schem Hinter­grund bleibt unter Kon­trolle aller Variablen eine stärkere Ten­denz zur CAWI-Befragungsmethode. In der Gruppe der Personen mit afrikanischem Hintergrund zeigt sich eine stärkere Ten­denz zum Papier­fragebogen. Diese Unter­schiede lassen sich nicht durch kompositorische Unterschiede in Bezug auf soziodemografische Merkmale, die Beherr­schung der deutschen Sprache oder die Dauer der Zuwanderung erklären, sondern deu­ten auf komplexere Gruppen­unterschiede hin (z. B. spezifische Erfahr­ungen einer Gruppe oder herkunfts­bezogene Merkmale).   Kreisdiagramm. Titel: Durchschnittliches Alter nach Migrantengruppen. Gruppen jünger als der Bevölkerungsdurchschnitt.

Push-to-Web funktioniert und hat Zukunft

Generell eignet sich Push-to-Web auch für Untergruppen, wie Personen mit einer Migrationsgeschichte in Deutsch­land, insbesondere unter der Annahme der oft günstigeren soziodemografischen Verhältnisse dieser Gruppen (jüngeres Alter). Dennoch gibt es Ausnahmen: So zeigt sich für die Grup­pe der Personen mit ost- und südost­asia­tischem Hin­ter­­­­grund eine stärkere Tendenz zur Wahl der CAWI-Be­fra­gungs­­methode und in der Gruppe der Teil­nehmer aus Sub­sahara-Afrika eine stärkere Ten­denz in der Wahl der PAPI-Befragungs­methode. Da der PAPI-Frage­bogen nur auf Deutsch ver­fügbar war, sind weitere Unter­suchungen hin­sichtlich des möglichen Einflusses einer mehrsprachigen Papiervariante möglicherweise not­wendig. Auf Basis der Ergebnisse empfehlen wir bei „Push-to-Web-Befragungen“ in einem Mix-Mode vorzugehen, um die Teilnahme insbesondere von bestimmten Bevölkerungsgruppen zu erhöhen. Dieser Beitrag wurde zuerst in Lagemaß 13 „investieren“ veröffentlicht. Zum Weiterlesen: Dillman, D. A. (2017). The promise and challenge of pushing respondents to the web in mixed-mode surveys. Survey Methodology, 43(1), 3–30 Genoni, A., Décieux, J.P., Ette, A., Witte, N. (2021). Setting up Probability-Based Online Panels of Migrants with a Push-to-Web Approach: Lessons Learned from the German Emigration and Remigration Panel Study (GERPS). In: Erlinghagen, M., Ette, A., Schneider, N.F., Witte, N. (eds) The Global Lives of German Migrants. I-MISCOE Research Series. Springer, Cham Ateş, Merih; González Hauck, Sué; Lazaridou, Felicia; Pöggel, Jill (2022): Vorstellung des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors (NaDiRa). In: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hg.): Wissen schaft Demokratie: Tagungsband zur Online-Fachtagung „Gesellschaftlicher Zusammenhalt & Rassismus“. Band 11. Jena: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft, 176-187