Deutschlandticket nachgefragt. Keine Mobilitätswende, aber ein begrüßter Aufbruch

Deutschlandticket Karte

Das Deutschlandticket ist nun seit mehr als einem Dreivierteljahr auf dem Markt. Es hat eine kleine Zitterpartie hinsichtlich seines aktuellen Preisniveaus und seines mittelfristigen Überlebens heil überstanden. Damit ist es zu einer festen Größe der Tariflandschaft im öffentlichen Verkehr geworden. Es löst mehr und mehr andere Zeitkartenvarianten ab und hat den vielbeklagten Tarifdschungel gelichtet. Auch wenn Tendenzen bestehen, diesen Dschungel durch allerlei Abkömmlinge und Untervarianten des Tickets wieder wuchern zu lassen, ist es ein Meilenstein in der Landschaft des öffentlichen Verkehrs.

Anlass genug für eine kleine Zwischenbilanz. infas hat daher in einem Eigenprojekt im Januar 2024 1.005 Bundesbürgerinnen und Bundesbürger nach Nutzung und Bewertung gefragt. Die telefonische Befragung erfolgte auf Basis eine repräsentativen Zufallsstichprobe, unterscheidet sich also von mancher einfachen Online-Befragung. Sie gibt Jung wie Alt, online wie nicht online die gleiche Beteiligungschance und weist so eine hohe Zuverlässigkeit auf.

18 Prozent haben das Ticket schon einmal gekauft, weitere neun Prozent können es sich vorstellen

Die Ergebnisse führen zu einer positiven Bilanz. Rund ein Viertel der Befragten zählt zur aktuellen Kundschaft oder dem Interessentenkreis. Dieses Viertel setzt sich aus drei Teilgruppen zusammen: etwa 15 Prozent hatten zum Befragungszeitpunkt eines der jeweils für einen Monat geltenden Deutschlandtickets in der Tasche, weitere drei Prozent nicht aktuell, aber in einem der Vormonate – und neun Prozent erwägen, sich demnächst zumindest zeitweise eines zuzulegen. Nachvollziehbarerweise fällt dieses Ergebnis in den großen Städten höher aus als in der Region. Doch anders als oft unterstellt, ist kein eklatantes Stadt-Land-Gefälle zu konstatieren. In den Metropolen wie beispielsweise Hamburg, Berlin oder München erreicht der Anteil der bisherigen Käuferschaft aus aktuellem oder früherem Besitz zwar einen Wert von teils über 30 Prozent, gegenüber 18 Prozent bundesweit, aber auch in den ländlichen Regionen mit einem sehr viel dünneren ÖPNV-Angebot umfasst diese Gruppe noch mehr als zehn Prozent. Das Deutschlandtickt ist dort also keineswegs ein Ladenhüter.

Allerdings findet es überall unter den regelmäßigen Autofahrerinnen und Autofahrern weniger Käuferinnen und Käufer als unter denjenigen, denen ein Auto nur gelegentlich oder gar nicht zur Verfügung steht. Bei den 73 Prozent mit jederzeitiger Verfügbarkeit umfasst die bisherige Käuferschaft „nur“ zehn Prozent, während dieser Anteil in den Gruppen mit gelegentlicher oder ganz ohne Autonutzungsmöglichkeit die 40-Prozent-Marke erreicht. Somit funktioniert das Ticket zumindest für einen nicht unerheblichen Teil dieser Gruppe als eine Art Zündschlüssel für den ÖPNV, stets in der Tasche und unkompliziert nutzbar.

Darüber hinaus belegen die Resultate der Befragung eine gewachsene Kundenbindung im ÖPNV. Zwar kommt mit 52 Prozent gut die Hälfte der Ticket-Käuferschaft nach eigenen Angaben aus einer anderen Zeitkarte zum Deutschlandticket, doch 46 Prozent berichten, sie hätten zuvor in der Regel ein Angebot aus dem Einzeltickersortiment genutzt. Die verbleibenden zwei Prozent waren dagegen zuvor eher vollständig ÖPNV-abstinent.

Die Gestaltung der Käuferschaft durch diese drei Segmente wird durch die in der Befragung überschlägig ermittelte monatliche Nutzungshäufigkeit belegt. Sie liegt bei etwa 35 Fahrten pro Kundin oder Kunde. Dieser Wert ist niedriger als für die meisten der bisherigen Monats- oder Jahreskarten. Sie erreichen in der Regel Werte zwischen 40 und 60 Fahrten. Allerdings fällt die für das Deutschlandticket ermittelte Nutzung abhängig von dem verfügbaren ÖPNV-Angebot unterschiedlich aus. Sie liegt in den Großstädten um einige monatliche Fahrten höher als außerhalb.

Unabhängig davon stellt für alle drei genannten Segmente neben dem dominierenden Preisargument die einfache Nutzung ohne langes Nachdenken über Tarifgrenzen oder andere Stolpersteine einen wichtigen Kaufgrund dar. So nennen 29 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer die Einfachheit und 45 Prozent den günstigen Preis als Hauptgrund für den Kauf. Doch immerhin weitere sieben Prozent von ihnen entscheiden sich für keinen dieser beiden Hauptgründe, sondern geben als wesentliche Motivation an, mit Kauf und Nutzung die Verkehrswende unterstützen oder einen Beitrag gegen den Klimawandel leisten zu wollen.

Die Gretchenfrage: mehr oder weniger Auto?

Dies führt zu der Gretchenfrage, ob und wie das Deutschlandticket die Verkehrsmittelwahl verändert hat? Hier fällt die Bilanz bisher eher bescheiden aus. Wir wollten dies genauer als in einem unverbindlichen Lippenbekenntnis wissen und haben daher etwas genauer gefragt. Jeweils bezogen auf die in den letzten Tagen vor der Befragung konkret unternommenen Fahrten mit Deutschlandticket in Bus oder Bahn konnte angegeben werden, ob diese Fahrten ohne dieses Ticket gar nicht, auch mit dem ÖPNV, dem Auto, dem Fahrrad oder zu Fuß unternommen worden wären. Die Antworten zeigen für eher kürzere Wege mit dem Bus ein anderes Muster aus als für die in der Regel längeren Fahrten mit Straßenbahn, Stadt- bzw. U-Bahn oder Regionalbahn.

Gemeinsam ist beiden Varianten der hohe Anteil derjenigen, die ohnehin öffentlich gefahren wären, ob nun mit oder ohne Deutschlandticket. Er liegt bei Wegen mit dem Bus bei 74 Prozent und bei Wegen auf der Schiene bei 84 Prozent. Das Auto stehen gelassen haben immerhin 15 Prozent der Busfahrenden, aber nur vier Prozent der Bahnfahrenden. Und mit ÖPNV statt Fahrrad sind zwei und fünf Prozent unterwegs gewesen. Doch auch Fußwege wurden verlagert, acht Prozent beim Bus und weniger als ein Prozent im Fall einer Bahnnutzung. Hinzu kommt schließlich, dass nicht nur andere Verkehrsmittel ersetzt, sondern mit dem Ticketbesitz Fahrten „stimuliert“ wurden. Dies trifft beim Bus zu zwei Prozent zu, bei der Bahn sind es sieben Prozent.

Eher wenige Auto-Kilometer verhindert, doch zusätzliche ÖPNV-Fahrten verursacht und manche Rad-Strecke auf Bus oder Bahn verlagert

Zusammengenommen zeigt sich, dass das Ticket bisher kaum einen Entlastungseffekt verzeichnen kann. Es wird auf wenige Autofahrten verzichtet und andere umweltgerechte Alternativen wie Rad oder zu Fuß nehmen kleine Einbußen hin. Zudem kommen Wege hinzu, die möglicherweise ohne das Angebot des Deutschlandtickets unterblieben wären. Dies können allerdings auch Fahrten sein, die man sich bei einem teureren ÖPNV nicht hätte leisten können, die also einen positiven Teilhabe-Aspekt aufweisen.

Diese an konkreten Fahrten ermittelte Bilanz verzeichnet ein zurückhaltenderes Bild als die ebenfalls gestellte Frage nach einer ganz allgemeinen Einschätzung – welche eher von einer nicht von der Hand zu weisenden sozialen Erwünschtheit oder der individuellen Hoffnung geprägt sein mag, sich mit dem Ticket doch wesentlich häufiger zugunsten des ÖPNV zu entscheiden. Hier geben nur 23 Prozent der befragten Nutzerinnen und Nutzer an, ihre Verkehrsmittelwahl nicht verändert zu haben. 52 Prozent schätzen es dagegen so ein, dass sie etwas häufiger und 13 Prozent, dass sie nun deutlich häufiger öffentlich fahren als zuvor. Knappe zehn Prozent berichten sogar, sie seien zuvor lange Zeit gar nicht mit Bus oder Bahn unterwegs gewesen.

Auch ohne deutlich veränderte Verkehrsmittelwahl eine begrüßte Erleichterung

Die gute Absicht ist also öfter zu verzeichnen als die Tat. Dies ist keine neue Erkenntnis und sollte die bisherige Bilanz des Tickets nach unserer Auffassung nicht unbedingt trüben, jedoch zu der realistischen Einschätzung führen, dass umfassende Veränderungen in der Verkehrsmittelwahl nicht von heute auf morgen und nicht allein mit Preis- oder Tarifmaßnahmen zu erzielen sind.

Auch dies ist nicht neu. Das Deutschlandticket wird dafür mehr Zeit als wenige Monate benötigen. Vor allem müssen Angebotsverbesserungen in Quantität und vor allem Qualität hinzukommen, wenn der Autoschlüssel öfter gegen das Deutschlandticket getauscht werden soll. Diese benötigen aber deutlich höhere Investitionen und sind erheblich aufwendiger als eine große und doch kleine, vielleicht überfällige Ticketinnovation. Allerdings stellt sie eine Intervention dar, die für sich genommen einen hohen Wert haben kann.

Diese fachliche Einschätzung wird durch die erfragten Bewertungen des Tickets von Seiten seiner Nutzerinnen und Nutzer untermauert. Qualität und Preis müssen aus deren Sicht zueinander passen. Der bewusst zugespitzten Aussage, durch das Deutschlandticket sei der ÖPNV nun so günstig, wie es seiner aktuellen, nicht immer optimalen Angebotsqualität entsprechen würde, stimmen immerhin 70 Prozent der Ticketnutzerinnen und -nutzer zu – unter denjenigen ohne Auto-Alternative sogar mehr als 80 Prozent. Und über 95 Prozent der Nutzerschaft sehen in dem Ticket trotz mancher empfundener Qualitätsmängel eine Erleichterung der Bus- und Bahnnutzung.

Geteilter ist die Meinung bei der auch unter Verkehrsexperten kontrovers diskutierten Frage, ob es ungerecht sei, dass das Ticket in schlechter ÖPNV-versorgten Regionen denselben Betrag kostet wie etwa in städtischen U-Bahn- und -Bahn-Systemen. Mit einer hauchdünnen Mehrheit von 51 Prozent sehen die befragten Nutzerinnen und Nutzer darin kein Problem.

Preisstabilität und Planungssicherheit gefragt

Diese breit geführte Diskussion kann zu günstigeren Preisen oder besseren Leistungen führen. Höhere Preise als die gegenwärtig festgelegten 49 Euro könnten jedoch den Ticketerfolg gefährden. In unseren vorangehenden Erhebungen aus dem Herbst 2023 konnten wir zeigen, dass ein Monatspreis von maximal 35 Euro sozialverträglich ist – und auch den hier nur kurz erwähnten Teilhabeaspekt sichert. Ein solches Preisniveau würde dem Ticket noch mehr Käuferinnen und Käufer bescheren. Ein höherer Preis birgt dagegen die Gefahr, die erzielten Erfolge hin zu einem Dauerticket in den Taschen und weg von Einzelfahrschein und Ticketautomat zunichte zu machen. Eine Bestandsgarantie für das Deutschlandticket ist also wünschenswert. Dabei überzeugt die gegenwärtig politisch ausgesprochene Überlebensgarantie bis 2025 das Publikum offenbar nicht. Im Januar 2024, und damit teils vor und teils nach deren politischer zumindest bis 2025 erfolgten Festlegung, haben noch 71 Prozent der von uns befragten akutellen Nutzerinnen und Nutzer der Befürchtung zugestimmt, das Ticket werde bald wieder vom Markt genommen. Der Weg ist also noch nicht geschafft.

Zur Befragung:

infas befragt in einer eigenen Studienreihe monatlich telefonisch 1.000 Bürgerinnen und Bürger ab 18 Jahre. Neben festen Bestandteilen wechselt die Reihe die aktuellen inhaltlichen Schwerpunkte. Sie basiert auf einer repräsentativen Zufallsstichprobe im sogenannten Dual-Frame-Verfahren aus zufällig generierten Festnetz- und Mobilfunknummern. Damit hat, anders als etwa in Online-Access-Panels, jede Person mit Festnetz- oder Mobilfunkanschluss dieselbe Chance, in die Stichprobe zu gelangen. Dieses sorgfältig durchgeführte und aufwendige Verfahren garantiert eine hohe Zuverlässigkeit der Ergebnisse, die unseren Qualitätsansprüchen genügt und den Anforderungen unserer Kunden entspricht.

Zum Weiterlesen:

Follmer, Robert et al. (2023): Mobilitätsreport 07, Alles wie vorher? Die Verkehrswende zwischen 9-Euro-Ticket und alten Herausforderungen. Ausgabe 01.02.2023, infas, Bonn.