Zu populistischen Politikmustern und ihrer Akzeptanz in der Bevölkerung sind in den vergangenen Monaten verschiedene, auch empirisch ausgerichtete Publikationen erschienen. Dabei werden unterschiedliche Definitionen und Begriffsverständnisse genutzt. Zudem sind einigen der empirischen Annäherungen Grenzen gesetzt, wenn das Segment möglicher „Populisten“ genauer unter die Lupe genommen werden soll.
Derartige Begrenzungen sind auch auf forschungsökonomische Aspekte zurückzuführen – etwa bei Stichprobenumfängen von beispielsweise 1.000 oder 2.000 Befragten in bundesweiten repräsentativ angelegten Befragungen. Dies bringt für eine differenzierte Betrachtung schon deshalb Einschränkungen mit sich, weil das Segment der „Populisten“ oder ähnlicher Gruppen in solchen Studien nur eine relativ geringe Anzahl von Befragten aufweist.
Ein weiteres Problem besteht möglicherweise in der Erreichbarkeit der zu betrachtenden Gruppe potenzieller „Populisten“. Ein kennzeichnendes Merkmal ist in der Regel ihre unterdurchschnittliche Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs. Wenn dazu auch die Beteiligung an einer Befragung gezählt wird – wofür es manche Argumente gibt –, kommt es nicht nur auf eine umfangreiche, sondern auch auf eine sorgfältig gebildete und geprüfte Stichprobe an, um zu belastbaren Aussagen über diese Einstellungsmuster und ihre Hintergründe zu gelangen.
Um hierzu einen Diskussionsbeitrag zu leisten, haben wir auf der Grundlage einer Befragung, die infas bei 5.041 Bürgerinnen und Bürgern im Auftrag der Bertelsmann Stiftung im Frühjahr 2017 durchgeführt hat, eine entsprechende Sekundäranalyse vorgenommen. Diese Studie hatte primär keine politikwissenschaftlichen Fragestellungen. Gleichwohl thematisiert sie Aspekte aus dem Umfeld der Forschung zu populistisch geprägten Entstehungsmustern sowie möglichen Vorbehalten gegenüber einer vielfältigen Gesellschaft, auf die wir uns im weiteren Verlauf genauer konzentrieren werden. Der Zugang zu dieser Befragung erfolgte im Kontakt mit den Befragten themenneutral, ließ also diese Inhalte aufseiten der Befragten nicht unbedingt vermuten. Sie bietet darüber hinaus ein besonders großes Sample mit einer in 80 Teilregionen erfolgten sorgfältigen Stichprobenkontrolle. Diese Prüfung schloss auch Bildungs- und weitere Merkmale ein, die sich in entsprechenden Analysen immer wieder als erklärungskräftig mit Bezug auf den Populismus erwiesen haben.
Was ist überhaupt Populismus und welche Rolle spielt die Vielfalt?
Dass eine sorgfältige Messung hier wichtig ist, hat Gründe. Denn eine angemessene Definition von Populismus sowie die Operationalisierung der damit verbundenen antipluralistischen Einstellungsmuster stehen vor der Herausforderung, dass das Etikett „Populist“ in der Öffentlichkeit schnell vergeben und oft nur grob umrissen wird. Im wissenschaftlichen Diskurs besteht indes Konsens darüber, dass Populismus durch drei Dimensionen näher bestimmt ist:
- Vorbehalte gegen Vielfalt und demokratische Orientierungen (Antipluralismus),
- der Anspruch, alleine den „Volkswillen“ auszudrücken (Alleinvertretungsanspruch),
- Vorbehalte gegen die etablierten politischen Akteure (Antiestablishment und Skepsis gegenüber Institutionen).
Antipluralismus als ein Bestandteil ist demnach ein allgemeines Kennzeichen populistischer Orientierungen, aber er muss nicht notwendig zu ihnen führen. Andere Merkmale müssen hinzukommen. Während eine demokratische Auseinandersetzung die Anerkennung unterschiedlicher Meinungen und Interessen voraussetzt, legt die populistische Form eine Freund-Feind-Orientierung zugrunde. Diese kann verschiedene Richtungen einnehmen. Verbindet sich die vertikale Ebene („die da oben“ – „wir hier unten“) mit einer horizontalen („wir“ – „die anderen“), lässt sich von rechtspopulistischen Einstellungen sprechen. Konstitutiv ist dabei die Annahme einer homogenen Gruppe („das Volk“), die eine mehr oder minder scharfe Ausgrenzung derer erlaubt, die nicht dazugehören (vgl. van de Wetering 2016). Solche politischen Einstellungen tendieren zum Rechtsradikalismus, aber sie sind so lange nicht rechtsextremistisch, wie sie nicht aktiv gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet sind. Unter anderem müsste also eine höhere Gewaltaffinität hinzukommen.
- Durchführung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung
- 5.041 Befragte ab 16 Jahren
- telefonische Interviews (Dual-Frame-Stichprobe, also Festnetz und Mobilfunk, nach ADM-Design)
- Befragungszeitraum: Frühjahr 2017
- Regionalisierung der Stichprobe in eigens für dieses Projekt gebildeten Raumordnungsregionen, entwickelt von infas 360 GmbH
- Interviewlänge etwa 30 Minuten
- Fragebogenentwicklung durch die Bertelsmann Stiftung sowie die Jacobs University Bremen
- Stichprobenkonzeption und Durchführung der Erhebung durch infas
- Bildung eines mehrdimensionalen Indexes zum Antipluralismus auf Basis einer faktoranalytischen Gewichtung der einfließenden Einzelfaktoren
- dargestellt wird die Kurzfassung eines längeren Artikels (siehe auch zum Weiterlesen)
Dabei kristallisieren sich Einstellungsmuster heraus, die zur Operationalisierung antipluralistischer Haltungen herangezogen werden können. Dazu zählen etwa die Wahrnehmung einer Gefährdung der nationalen Identität und Bedrohung durch Vielfalt, Szenarien der Überfremdung, das Negativbild des institutionellen und politischen Establishments sowie die Ablehnung von sozialen und ethnischen Minderheiten. Ebenso gehören demokratieskeptische Überzeugungen dazu.
Um hierzu genauere Erkenntnisse zu gewinnen, wurden aus dem Regionalsurvey Fragen herangezogen, die die Bewertung von Vielfalt, Demokratiemisstrauen, Globalisierungskritik, die Angst vor Überfremdung und die Abwertung von bestimmten gesellschaftlichen Teilgruppen wie Ausländern oder Homosexuellen messen. Indikatoren für Einstellungen gegen das politische Establishment, die für die Populismusdefinition erforderlich wären, waren im Datensatz nicht verfügbar. Aus den ausgewählten Fragen haben wir ausgehend von den dargestellten Überlegungen einen gewichteten, additiven Gesamtindex zum Themenkomplex „Antipluralismus“ gebildet. Die zugrunde liegenden Fragen fließen mit unterschiedlichen analytischen Gewichten entsprechend ihrer Erklärungskraft ein. Eine vergleichsweise hohe Erklärungskraft erlangen in diesem Zusammenhang die Merkmale zur Akzeptanz von Diversität sowie sozialen und ethnischen Minderheiten. Um im nächsten Schritt trennende und verbindende Faktoren zwischen Befragten mit einem ausgeprägten antipluralistischen Meinungsbild und solchen mit geringeren Vorbehalten aufzuspüren, haben wir ein mehrdimensionales Analysemodell entwickelt, das soziale Vernetzung und Integration, Lebenszufriedenheit, lokale und regionale Verbundenheit, politische Partizipation sowie Einstellungen zu Institutionen, Politik und Gesellschaft misst. Dazu haben wir analog zum dargestellten Antipluralismusindex weitere elf Dimensionsindizes konzipiert. Sie fußen auf einem Merkmalset von insgesamt 73 Fragen, von denen keine in die zuvor gebildete Operationalisierung des Antipluralismusindexes eingeflossen ist. Grau hinterlegt sind die verwendeten Dimensionen, denen stichwortartig die für die Operationalisierung genutzten Fragen zugeordnet sind.
Für die weiteren Betrachtungen stehen nun der Antipluralismusindex sowie die elf erklärenden Dimensionen zur Verfügung. Das Indexergebnis nutzen wir, um die Personengruppe genauer in den Blick zu nehmen, die eine höhere Affinität zu einem antipluralistischen Meinungsbild hat. Zu dieser Gruppe der „Antipluralisten“ zählen wir alle Befragten mit einem überdurchschnittlichen Indexwert – insgesamt sind das 39 Prozent. Das heißt: Vier von zehn Befragten haben eine überdurchschnittliche Sympathie für antipluralistische Aussagen. Es handelt sich hier also nicht um ein Minderheitenphänomen, sondern um Haltungen, die in der Mitte der Gesellschaft zu finden sind. Dabei bedeutet ein überdurchschnittlicher Indexwert inhaltlich nicht, dass der oder die Befragte allen im Index verwendeten Aussagen zustimmt. Ausschlaggebend ist lediglich eine im Schnitt höhere Anzahl von Zustimmungen zu den einzelnen Merkmalen – also eine „Affinität“ im Sinne einer relativ weit abgesteckten Gruppe.
Signalereignis Flüchtlingswelle
Die Ergebnisse unserer Studie weisen bei einem nicht unerheblichen Teil der Befragten ein tendenzielles Unbehagen gegenüber Vielfalt auf. Eine über dem Durchschnitt liegende Affinität zu antipluralistischen Einstellungen findet sich bei etwa 40 Prozent der Befragten. Ängste vor dem Fremden spielen dabei ebenso eine Rolle wie die Sorge vor wachsender Benachteiligung und Konkurrenz um knappe Ressourcen wie Arbeit und Wohnung. Die jüngste Flüchtlingseinwanderung, die binnen kürzester Zeit eine große Zahl von Menschen vor allem aus muslimisch geprägten Ländern nach Deutschland brachte, war ein Signalereignis. Ängste und Sorgen bekamen einen Namen und die in Teilen der Bevölkerung vorhandene Verunsicherung wurde sichtbar.
Diese Sicht von oben auf die Befragten mit überdurchschnittlich ausgeprägten antipluralistischen Überzeugungen wird allerdings den vielfältigen Wirkzusammenhängen und Konfliktlinien nicht gerecht, die die bei genauem Hinsehen heterogenen Einstellungen innerhalb dieser Gruppe prägen. Hier finden sich einerseits Personen „auf der Schwelle“ und andererseits tief überzeugte Vertreter antipluralistischer Ansichten mit oft als benachteiligt empfundenen Lebensbedingungen. Auch das vielfach bemühte Bild der „Modernisierungsverlierer“ oder der „Wutbürger“ greift an dieser Stelle zu kurz. Vielmehr sind tief sitzende Einstellungsmuster, Irritationen und Ängste zu beobachten, denen es adäquat zu begegnen gilt.
Weitere Segmentierung der Antipluralisten
Zugleich stimmen die Ergebnisse optimistisch über das Ausmaß des engeren, populistisch orientierten Antipluralismus in Deutschland: Dies zeigt eine Segmentierung, die innerhalb der Gruppe der „Antipluralisten“ vorgenommen wurde. Dazu wurde eine Clusteranalyse anhand der elf beschriebenen Dimensionen genutzt. So beläuft sich der innerste Kern der „Ausgegrenzten“ auf etwa vier Prozent der Befragten.
Ihnen müssen eher rechtsorientierte und stabile Überzeugungen gegen gesellschaftliche Vielfalt attestiert werden. Zusammen mit einer weiteren Gruppe der „Frustrierten“ sind es etwa 12 Prozent der Befragten, denen eine verringerte Lebenszufriedenheit, eine pessimistische Lebenseinstellung, persönliche und gesellschaftliche Frustrationserfahrungen, eine fehlende soziale Einbindung sowie unzureichende materielle Ressourcen gemein sind. Dabei entsprechen ihre subjektiven Einschätzungen – etwa in Bezug auf die Flüchtlingseinwanderung – häufig nicht den objektiven Gegebenheiten vor Ort. Der Blick auf die Wohnsituation insbesondere bei den Frustrierten zeigt jedoch, dass es objektiv benachteiligende Faktoren gibt. Dabei gilt es auch zu berücksichtigen, dass vor allem Vertreter der beiden engeren antipluralistischen Gruppen Gesellschaft und Politik für ihre individuelle Lebenssituation verantwortlich machen. Dementsprechend erwarten sie von den gesellschaftlichen und politischen Institutionen Unterstützung. Bleibt diese Unterstützung tatsächlich oder in ihrer subjektiven Wahrnehmung aus, befördert dies weitere Frustrationen.
Was der Blick auf die beiden besonders antipluralistischen Segmente der Frustrierten und Ausgegrenzten auch zeigt, ist, dass es deutliche Zusammenhänge mit einer schwachen regionalen und nachbarschaftlichen Einbindung und einem unterdurchschnittlichen Gefühl des Aufgehobenseins gibt. Unabhängig von aktuellen politischen Herausforderungen wie der Flüchtlingsintegration wirken hier also offenbar auch andere gesellschaftliche Trends, die die Vereinzelung vorantreiben und jedenfalls für manche die Adaption an Veränderungen, wie eine wachsende Vielfalt, erschweren.
Viele Antipluralisten zweifeln oder sind verunsichert
Etwas im Gegensatz zu diesen beiden Gruppen stehen die „Verunsicherten“ und die „Zweifler“. Sie sind gesellschaftlich integriert und gut vernetzt – dies ist ihr Schutzpotenzial vor einer die Aufnahme der Flüchtlinge in ihrer Lebenswelt verunsichert. Die tatsächlich oder vermeintlich vergangene Sicherheit gilt es zurückzugewinnen: Denn sie stellen aktuell die Mehrheit der Gruppe der potenziellen rechtspopulistischen Wähler. Im Gegensatz zu den Frustrierten oder Ausgegrenzten handelt es sich bei den Verunsicherten und noch mehr bei den Zweiflern um Personengruppen, die den politischen Diskurs und die Bürgerbeteiligung eigentlich suchen. Falsch wäre es, sie aus der politischen Auseinandersetzung auszuschließen und ihre Verunsicherung und Forderungen als randständig abzuwehren.
Wir danken der Bertelsmann Stiftung und Kai Unzicker für die Unterstützung beim Zustandekommen dieser Publikation
Zum Weiterlesen:
„Vom Unbehagen an der Vielfalt“, (Langfassung):
https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/vom-unbehagen-an-der-vielfalt/
Website der Bertelsmann Stiftung zum „Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt“:
https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/gesellschaftlicher-zusammenhalt/
Baumann, Zygmunt (2016): Die Angst vor den anderen. Ein Essay über Migration und Panikmache. Edition Suhrkamp, Berlin.
Crouch, Colin (2008): Postdemokratie. Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main.
Müller, Jan-Werner (2016): Was ist Populismus? Edition Suhrkamp, Berlin.
van de Wetering, Denis (2016): Rechtspopulistische Gegenwelt: Aktuelle Kommunikationsformen, gesellschaftliche Resonanz und demokratische Antworten, Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Gütersloh.
Foto: Tina Floersch