Regionale Wirtschaftseffekte in der Pandemie

Mann mit Maske beschriftet eine Tafel vor einem Geschäft in einer Fußgängerzone

Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie fand auch eine intensive Debatte zu dem Stellenwert und der Zuverlässigkeit unterschiedlicher Daten statt. Ein Element dieser Diskussion ist die Frage nach ihrer Verfügbarkeit und Zugänglichkeit, nicht zuletzt über Disziplingrenzen hinweg. Einen praktischen Beitrag hat die Corona-Datenplattform geliefert, die infas und infas 360 auch mit einem Beitrag des Instituts für Hygiene und Öffentliche Gesundheit (IHPH) an der Universität Bonn umgesetzt haben. Entstanden ist das Projekt im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).

Die Datenplattform erfasst seit Anfang März 2020 fortlaufend regionale Corona-Schutzmaßnahmen. Zudem werden auf der Plattform alle verfügbaren Daten zu regionalen Kennwerten bezogen auf das Infektionsgeschehen sowie mit besonderem Fokus auf die wirtschaftliche Entwicklung gesammelt, kombiniert mit weiteren Strukturdaten.

Rund 20 Monate nach ihrem Start zählt die Plattform über 500 nutzende Institutionen oder Einzelwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler. Teile der Plattforminhalte wurden zudem seit dem Sommer 2021 kontinuierlich an das Statistische Bundesamt übergeben und dort frei zur Verfügung gestellt.

Die Hauptaufgabe der Plattform besteht in der Bereitstellung kleinräumiger Daten auf der Ebene von Landkreisen und kreisfreien Städten. Sie ermöglichen die Analyse von wirtschaftlichen Effekten der Pandemie auf der Ebene von Landkreisen und kreisfreien Städten.

Wirtschaftliche Effekte kleinräumig betrachtet

Die erste Pandemiephase weist bei einer räumlichen Betrachtung erkennbare Unterschiede zwischen den Kreisen und kreisfreien Städten auf. Besonders in den wirtschaftsstarken südlichen Bundesländern nahmen in der Zeit von Dezember 2019 bis März 2020 Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit in großem Maße zu. In den bayrischen Kommunen traten überwiegend Verdopplungen und Verdreifachungen von Nichtbeschäftigten auf, teilweise haben sich die betreffenden Zahlen um den Faktor 4 und mehr erhöht. In den neuen Bundesländern, vor allem in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt, fanden sich in dieser Zeitspanne Zuwachsraten fast ausschließlich im Bereich zwischen 33 Prozent und 100 Prozent. Die größte Zunahme wurde jedoch am Automobilstandort Wolfsburg beobachtet.

Bei einer zeitlich verlängerten Betrachtung bis zum Juli 2021 waren – wenn auch nur marginal – bereits erste Rückgänge der Nichtbeschäftigten zu verzeichnen. Dieser Rückgang beschränkte sich auf fünf Kommunen. Die große Mehrheit der nördlichen Kreise und kreisfreien Städte hatte in diesem Zeitabschnitt Zuwächse von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit von bis zu 50 Prozent verkraften müssen. Größere Zunahmen traten im gesamten Bundesgebiet auf, gehäuft jedoch in Baden-Württemberg und Bayern. Bei der relativ betrachteten Zunahme zeigte Wolfsburg erneut den höchsten Wert auf.

Im Zeitraum eines ganzen Jahres (Juli 2020 bis Juli 2021) zeigte sich bundesweit eine deutliche Entspannung bei Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit. Der Rückgang betrug bis zu 77 Prozent, hier wiederum am häufigsten in den beiden südlichsten Bundesländern und vereinzelt in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. In den nordöstlich gelegenen Bundesländern sind die Rückgänge etwas geringer ausgefallen. Einzig in Wolfsburg, Emden und Kassel gab es in diesem Zeitraum noch eine Zunahme von Nichtbeschäftigten.

Insgesamt zeigt die deskriptive Darstellung, dass der Süden der Republik zunächst stärker betroffen war, sich aber auch entsprechend erholen konnte. Die relativ hohe Dynamik folgt den Phasen der Pandemie. Zudem wird sie nur erkennbar, wenn wie hier erfolgt, Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit zusammengefasst betrachtet werden.

Auch multivariat unter der Lupe

Eine besondere Herausforderung bei der Analyse regionaler Wirtschaftsdaten auf der Suche nach Auffälligkeiten in der Corona-Pandemie besteht in der zeitnahen Verfügbarkeit solcher Daten auf der für die Plattform zentralen Gebietsebene, den Landkreisen und kreisfreien Städten. Um den analytischen Zugang zu diesen Daten zu erleichtern und die Analysen zu verdichten, haben wir eine Klassifikation dieser Gebietseinheiten nach verfügbaren Wirtschaftsindikatoren vorgenommen. Sie versteht sich mangels offizieller Typisierungen zu diesem Themenfeld – etwa vergleichbar mit den verschiedenen Raumtypisierungen anhand von Raumstrukturen und Lagemerkmalen – als eine Art experimentelle Klassifikation, die künftig weiter zu schärfen ist.

Abgegrenzt wurden acht verschiedene Segmente. Dafür herangezogen wurden Angaben zur regionalen Wirtschaftsstruktur wie der Anteil von Arbeitsplätzen im Dienstleistungs- und Industriebereich sowie mit akademischen Hintergrund und im Wissenschaftssektor. Hinzu kommen Angaben zur Bruttowertschöpfung in verschiedenen Branchen, insbesondere in der Land- und Forstwirtschaft, um auch diesen Sektor abgrenzen zu können. Weiterhin herangezogen wurden Angaben zu Übernachtungen im Fremdenverkehr sowie zu infrastrukturellen Voraussetzungen.

Die Zuordnung eines Kreises oder einer kreisfreien Stadt erfolgte schrittweise entlang einer Priorisierung, hier zunächst vereinfacht im Überblick beschrieben:

  • Zunächst wurden Gebiete abgegrenzt, die eindeutig dienstleistungs-, industrie- oder wissenschaftsorientiert sind.
  • Besteht eine ausgeglichene Struktur, erfolgte eine Klassifikation als „Mischstruktur“.
  • Im nächsten Schritt wurden Gebiete, die bevölkerungsbezogen hohe Anteile auswärtiger Übernachtungen aufweisen, dem Segment „Fremdenverkehr“ zugeordnet.
  • Bei den verbleibenden Gebieten wurde geprüft, welche Bruttowertschöpfungen sich im Sektor Land- und Forstwirtschaft zeigen. Liegen diese im hohen oberen Bereich, erfolgte eine Zuordnung zu diesem Segment.
  • Schließlich wurden infrastrukturschwache Gebiete abgegrenzt, die keinem inhaltlichen Wirtschaftscluster klar zugeordnet werden konnten.

Da die Corona-Datenplattform nicht nur die Wirtschaftsentwicklungen betrachten, sondern diese vor allem in Bezug zu den getroffenen Corona-Eindämmungsmaßnahmen gesetzt werden sollte, nutzt die Analyse zusätzlich Daten aus der komplexen Maßnahmenerfassung
der Plattform. Dabei wurde ein verdichteter Maßnahmenindex eingesetzt, der in Anlehnung an ein internationales Vorbild in der Plattform berechnet und bereitgestellt wird.

Grafik Entwicklung der Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit

Maßnahmenindex

Der Maßnahmenindex basiert auf den pro Tag recherchierten und in verschiedene Ober- und Unterkategorien codierten Corona-Verordnungen, die auf der Corona-Datenplattform bereitgestellt werden. Für jeden der 23 Hauptcodes werden dessen Subcodes ordinal nach der „Strenge“ sortiert, mit einem numerischen Rangwert versehen und anschließend über Mittelwertbildung und Normierung in einem einzigen Indikator ausgewiesen, der die Strenge der verordneten Maßnahmen bewertet. Dieses Vorgehen orientiert sich methodisch am internationalen Oxford-Stringency-Index, die inhaltliche ebenso wie die regionale Tiefe ist jedoch beim Maßnahmenindex deutlich feiner. Während der Oxford-Index zum Beispiel mit dem Bereich „School Closings“ die Schließung über alle Schulformen und Universitäten umfasst, werden beim Maßnahmenindex die Schulen in Grundschulen und weiterführende Schulen unterteilt. Zudem werden die Verordnungen für alle 401 Kreise in Deutschland erfasst, wodurch die Analyse regionaler Effekte ermöglicht wird.

Um die Zusammenhänge zwischen den Kreisstrukturen, der Zuordnung zu einem der „Wirtschaftscluster“ und regionalen Wirtschafts- und Pandemiekennwerten sowie zu dem Maßnahmenindex auch multivariat zu betrachten, wurden regressionsanalytische Mehrebenen-Modelle berechnet. Dabei sind zwei wichtige Einschränkungen zu berücksichtigen: Die Einheit für diese Analysen sind grundsätzlich die 400 betrachteten Landkreise und kreisfreien Städte. Dies heißt, dass nur Variablen verwendet werden können, die auf dieser Ebene vollständig vorliegen. Damit sind bestimmte ökonomische Eckwerte, die zwar bundesweit, aber nicht regional verfügbar sind, ausgeschlossen. Diese Einschränkung besteht auch für einzelne Kennwerte der Pandemie wie etwa die Hospitalisierungs- oder Impfquote. Die Analyse der Wirtschaftskennwerte und weiterer Parameter muss sich so auf wenige robuste Merkmale beschränken. Flächendeckend und aktuell verfügbar ist die Arbeitslosenquote. Dies gilt mit der Einschränkung der weniger zeitnahen Verfügbarkeit auch für die Kurzarbeitsquote. Wir haben uns entschieden, diese beiden Kennwerte zu einem Parameter der „Nichtbeschäftigung“ zusammenzufassen und in den Modellen als abhängige Variable zu nutzen.

Wenn der Maßnahmenindex als unmittelbarer Effekt der Pandemie gesehen wird, sind hier direkte Wirkungen nachweisbar (in der Tabelle ausgewählter Zeitraum: März bis Juli 2020, weitere Zeitschnitte in der Langfassung, siehe „Zum Weiterlesen” am Ende des Beitrags). Gleichzeitig wird aber auch ersichtlich, dass die regional unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen in unterschiedlicher Form betroffen sind. Verantwortlich dafür ist in erster Linie die jeweils unterschiedliche Ausgangssituation vor der Pandemie, also die wirtschaftlich unterschiedlich ausfallenden Profile der Landkreise bzw. kreisfreien Städte. Dies zeigt sich deutlich etwa in der hohen Betroffenheit von Kreisen oder kreisfreien Städten, die dem Schwerpunkt „Fremdenverkehr“ zugeordnet wurden, aber auch für das „Industriecluster“ und etwas abgeschwächter und regional weniger zugespitzt für den Dienstleistungssektor. Sie waren schnell in hohem Maß „verwundbar“. Mit dem Anhalten der Pandemie betrifft dies schrittweise auch andere Strukturen, doch mit größerer Zeitverzögerung.

Anregung zu einer besseren Datenkultur

Die hier im Schwerpunkt vorgestellten wirtschaftsorientierten Auswertungen waren ein wichtiger Baustein innerhalb der Corona-Datenplattform. Wenig überraschend, aber deutlich wurde auch, dass die regionale Datenlage bezogen auf die Wirtschaftseffekte und zeitnah verfügbare Kennwerte deutlich besser sein könnte. So musste sich unsere Analyse mangels anderer zeitnah verfügbarer Kennwerte beispielsweise hilfsweise auf die hierfür konstruierte Nichtbeschäftigtenquote begrenzen.

Tabelle: Modellkennwerte Random-Effects

Ebenso konnte nicht auf eine etablierte Segmentation anhand der Wirtschaftsstrukturen zurückgegriffen werden. Stattdessen musste eine solche Zuordnung in einem ersten – sicher noch weiterzuentwickelnden – Versuch, relativ pragmatisch und ad hoc erarbeitet werden. Wünschenswert wären jedoch diesbezügliche Basisarbeiten sowie weitere, regional differenzierbare Angaben zu ökonomischen Kennziffern. Sie liegen bislang gar nicht oder nur mit großem zeitlichen Abstand regional vor, könnten aber bei entsprechendem Aufwand bereitgestellt werden, würden mehr Informationen liefern und bessere Ableitungen ermöglichen.

Über Wirtschaftsdaten hinaus

Darüber hinaus hat die bisherige Arbeit in der Plattform aber auch in vielfältiger Form Grundsätzliches verdeutlicht. Dies betrifft die verfügbaren Datenqualitäten, Dateninhalte und Bereitstellungszeiten. Ausgezeichnete Daten sind keine Gewähr für eine hohe Krisenfestigkeit, aber doch ein Beitrag dazu. Ein elaborierteres Qualitätsverständnis, mehr Kontinuität und Vorausschau in verschiedene Wege der Datengenerierung sowie gelebte und institutionalisierte Interdisziplinarität in der Analyse sind machbar – und stehen einer wohlhabenden Gesellschaft gut zu Gesicht. Sie sind kein Luxus, sondern Ausdruck wahrgenommener Verantwortung auf der Grundlage zuverlässiger empirischer Daten.

Die Pandemie lehrt uns, dass wir nicht gut vorbereitet sind. Wir stehen vor erheblichen Anforderungen, wenn unser wirtschaftliches und soziales Leben, unsere wissenschaftliche und politische Kompetenz, unsere demokratische Verfasstheit, unsere Technologie und unsere Konsumgewohnheiten, unsere Gesundheit und unsere soziale Gerechtigkeit robust genug sein sollen, um anstehende Transformationsaufgaben zu meistern. Dies gilt für Krisensituationen ebenso wie für langwährende Anpassungsprozesse. Einen Resilienzbaustein bilden zuverlässige empirische Grundlagen – nicht zuletzt zu kleinräumigen Wirtschaftsdaten. Fast paradigmatisch verdeutlicht uns der Umgang mit der Corona-Situation, dass hier erhebliche Defizite bestehen. Dies betrifft bei genauem Blick in der einen oder anderen Form alle betrachteten Sektoren.

Das Ad hoc-Vorhaben der Corona-Datenplattform hat bekannte und weniger bekannte Defizite in den verfügbaren Daten offengelegt. Diese Einschränkungen betreffen die Verfügbarkeit, Transparenz, Reliabilität ebenso wie Validität der einbezogenen Daten. Hinzu kommen bedeutende Lücken und andere methodische Mängel vorhandener Einzeldaten.

Das Spektrum reicht von der bereits vielfach diskutierten Zuverlässigkeit der Inzidenz-, Test- und Hospitalisierungsdaten im engeren Themenschwerpunkt der Plattform über eine verzögerte Bereitstellung, eine nicht befriedigende regionale Tiefe etwa innerhalb von Städten sowie kaum verfügbare regional tief gegliederte Daten zum Wirtschaftsgeschehen bis hin zu fehlenden oder handwerklich unzureichenden Surveydaten beispielsweise zur Compliance oder in der Pandemie wichtigen Hintergrunddaten zur aktuellen Alltagsmobilität. Auch das mehr oder weniger zwangsläufig gewählte regionale Raster der Landkreise und kreisfreien Städte weist aufgrund seiner bundeslandspezifisch sehr unterschiedlichen Struktur Nachteile auf. Wünschenswert wäre an dieser Stelle eine bundesweit einheitliche Systematik für analytische Zwecke und die Datenbereitstellung.

Neben diesen operativ schnell erkennbaren und der Fachwelt nicht neuen Defiziten hat sich die Tatsache einer kaum vorhandenen pandemieunabhängigen Zusammenführung dieser Daten als hemmend erwiesen. Hinzu kommen Defizite bei ihrer kontinuierlichen wie auch interdisziplinären und institutionalisierten Analyse. Damit soll nicht gesagt werden, dass diese Faktoren bei einer besseren Ausgangssituation zwangsläufig zu einem perfekten Pandemiemanagement geführt hätten. Jedoch ist anzunehmen, dass ein etabliertes System zur flexiblen Datensammlung und -analyse mehr und zuverlässigere Analysen auch im wissenschaftlichen Für und Wider ermöglicht hätte. Auch hätten mit einem derartigen Instrument den politischen Entscheidungsträgern und -trägerinnen vermutlich bessere und vielfältigere Basisdaten zur Verfügung gestellt werden können. Dabei bezieht sich diese Annahme nicht allein auf Gesundheitsdaten mit Bezug auf die aktuelle Herausforderung, sondern allgemeiner auf eine Vielfalt von sozialen, infrastrukturellen und wirtschaftlichen Themenkomplexen, deren unmittelbare Verfügbarkeit grundsätzlich und zugespitzt in einer Krisensituation von erheblichem Vorteil wäre.

Dieser Beitrag wurde zuerst in Lagemaß 12 veröffentlicht.

Zum Weiterlesen
www.corona-datenplattform.de

Photo by Jonathan Dick, OSFS on Unsplash