Präferenzstrukturen der Bevölkerung bei Investitionen

Mädchen wirft Münze in Spardose

„Investieren“ – das Leitthema dieser Ausgabe – ist ein wenig schillernd. Zunächst einmal entstammt der Begriff der Ökonomie und hat darin einen festen Platz. Demnach sind Investitionen etwas, das eine Bestandsgröße, ein Kapital, verändert. In diesem Sin­ne können Investitionen grob danach unterschieden werden, welche Bestandsgrößen beeinflusst werden:

Kapitalinvestitionen beziehen sich auf den Kauf von Produktionsanlagen, Maschinen, Gebäuden und anderen Vermögenswerten, um Waren und Dienstleistungen zu erzeugen. Sie sind ein wichtiger Faktor für die Wirtschaftsentwicklung, da sie die Produktivität und Effizienz erhöhen.

Finanzinvestitionen umfassen den Kauf von Aktien, Anleihen, Fonds, Derivaten oder anderen Wertpapieren mit dem Ziel, eine Rendite zu erzielen. Sie können auch dazu dienen, das Portfolio von Investoren zu diversifizieren und das Risiko zu minimieren.

Humankapitalinvestitionen sind solche in Bildung, Training und Entwicklung der Fähig­keiten von Mit­arbeiterinnen und Mitarbeitern bzw. Arbeit­nehmer­innen und Arbeit­nehmern. Sie tragen dazu bei, dass Arbeitskräfte besser ausgebildet und qualifiziert sind, was wiederum zu höherer Produktivität und besseren Arbeitsbedingungen führt.

Daneben gibt es Bereiche, mit denen sich nicht nur Ökonomen beschäftigen, sondern auch Soziologen und insbesondere die Sozialpolitik. Es geht dabei um die Förderung von Ressourcen, die langfristig kulturelle und gesellschaftliche Vorteile erbringen sollen:

Kulturelle Investitionen beziehen sich auf die Ressourcen, die in die Entwicklung und Aufrechterhaltung von Kunst, Kultur, Literatur und anderer kreativer Bereiche investiert werden. Sie können dazu beitragen, den kulturellen Reichtum einer Gesellschaft zu bewahren und zu fördern.

Soziale Investitionen umfassen Aufwendungen in Bildung, Gesundheitsversorgung, soziale Sicherheit und andere Bereiche, die das Wohlbefinden und die Lebensqualität der Menschen verbessern. Auf diese Weise können soziale Un­gleichheiten verringert und die Chancen­gleichheit gefördert werden.

Politische Investitionen sind solche in politische Orga­nisa­tionen, Kampagnen und Wahlen, um politische Ziele zu erreichen.

In der Soziologie selbst sind die Begriffe Kapital und Investition eng mit Pierre Bourdieu verknüpft, sofern es um soziale Beziehungen und Netzwerke und ihre Aus­wirkungen auf die individuelle Position in der Gesell­schaft geht.

Der Kapital-Begriff wird von Bourdieu explizit nicht in einem marxistischen oder, wie oben beschrieben, in einem volks­wirt­schaft­lichen Sinn verwendet, weil er ihn nicht nur ökonomisch definiert. Das öko­nomische Kapital ist für ihn nur eine der möglichen Kapitalarten. Neben dieser Kapitalsorte unterscheidet er das kulturelle Kapital, das soziale Kapital und schließlich das symbolische Kapital (das Ansehen, das der Besitz dieser oder jener Kapitalsorte einbringt). Für ihn ist nicht so sehr oder nicht allein der Besitz ökonomischen Kapitals entscheidend, sondern der des kulturellen Kapitals, denn dieses kann eine bessere Stellung in der Ansehens-Hierarchie bewirken. Bourdieu unterscheidet dabei zwischen drei Formen des kulturellen Kapitals. Es kann in einem verinnerlichten, inkorporierten Zustand, in einem objektivierten Zustand und in einem institutionalisierten Zustand existieren.

Das soziale Kapital wiederum betrachtet Bourdieu als Ressource, die durch Beziehungen und Netzwerke aufgebaut wird und in sozialen Interaktionen genutzt werden kann. Er spricht davon, dass Individuen in soziale Beziehungen investieren, um langfristige Vorteile zu erlangen, sei es in Form von Unterstützung, Zugang zu Informationen oder sozialem Prestige.

Allerdings wurde die Frage des sozialen Kapitals von verschiedenen Autoren kritisch diskutiert. Einige argumentierten, dass Bourdieu sich zu sehr auf strukturelle Aspekte fokussiert und individuelle Handlungen vernachlässigt. Andere kritisierten, dass soziale Beziehungen in ökonomischen Begriffen beschrieben werden und somit die Komplexität sozialer Interaktionen reduziert betrachtet ist. Manche bemängeln auch, dass das Konzept den Einfluss von Macht und Ungleichheit nicht ausreichend berücksichtigt.

Zusammengefasst liegt der wesentliche begriffliche Unterschied darin, dass in der Ökonomie Investitionen hauptsächlich als finanzielle Mittel betrachtet werden, mit denen zukünftiger Nutzen oder Gewinn erzeugt werden soll. In der Soziologie können sich Investitionen hingegen auch auf nicht-finanzielle Ressourcen wie Zeit, Energie oder soziale Netzwerke beziehen, mit denen langfristige soziale oder persönliche Vorteile erzielt werden sollen. Gemeinsam ist beiden Betrachtungen, dass Ressourcen auf verschiedene Weise genutzt werden, um bestimmte, zukünftige Zwecke zu erreichen. So gesehen ist die Ausbildung zum Meister (die bezahlt werden muss) einerseits eine Investition in das Humankapital mit einer positiven Rendite von zukünftigen zusätzlichen Ressourcen. Denn wenn der Meister seinen Titel erworben hat, wird er in der Regel über mehr finanzielle Ressourcen, auch für seinen Konsum, verfügen. Andererseits erhält er mit dem Titel auch Zugang zu neuen Beziehungsstrukturen und steigt in der Ansehens-Hierarchie auf.

Wenn man sich vor dem geschilderten Hintergrund darauf einigt, Investition als eine Mobilisierung von Ressourcen für einen bestimmten Zweck zu sehen, ist es inter­essant zu schauen, welche Präferenzstrukturen für Investitionen in der Bevölkerung zu finden sind. Das wurde in einer zufallsbasierten Stichprobe im Rahmen der infas-Mehrthemenbefragung erhoben, über die hier kurz berichtet werden soll.

Ausgangspunkt für die Operationalisierung der Frage­stellung selbst waren die folgenden Überlegungen: Man gibt Geld aus für Dinge, die notwendig sind: Essen, Trinken, Wohnen, Mobilität etc. Man gibt aber auch Geld aus, weil man es als Investition begreift: baut sich ein Haus für die Alterssicherung oder investiert auch in nicht-materielle Güter, möglicherweise einfach, um ein bestimmtes Ansehen (Kleidung, Kultur etc.) zu erreichen oder einer bestimmten Gruppe anzugehören und damit glücklicher zu sein.

Insgesamt kann allerdings nur investiert werden, wenn man etwas außerhalb der im Alltag notwendigen Ausgaben zur Verfügung hat. Deswegen erschien es sinnvoll, bei der Operationalisierung der Präferenzstrukturen in der Bevölkerung für Investitionen auf einen bestimmten Fall abzuheben, der unabhängig von dem „normalen“ Einkommen ist. Die Frage in der Erhebung lautete also: „Stellen Sie sich vor, ein Mitglied aus Ihrer Familie kommt zu Ihnen und sagt: Ich habe absehbar 3.000 Euro aus glücklichen Umständen mehr als sonst. Ich will das Geld investieren. Was würden Sie diesem Mitglied der Familie raten?“ Dieselbe Frage sollte in einem zweiten Schritt im Hinblick darauf beantwortet werden, wie das Geld persönlich verwendet werden würde. Zunächst fällt auf, dass sich die Präferenzen deutlich danach unterscheiden, ob man anderen einen Ratschlag für die Verwendung erteilt oder die Option für sich ganz persönlich angibt. Am deutlichsten wird dies sichtbar, wenn es um den Kauf von Kleidung oder wertvollem Schmuck, eines Autos oder E-Bikes geht. Aber auch das Geld für eine längere Reise zu verwenden, wird eher als Ratschlag gesehen und weniger als eine eigene Option.

 

Balkengrafik. Überschrift "Was tun mit unverhofften 3.000 Euro mehr? - Anderen rät man zur großen Reise, selbst bleibt man eher sparsam".

Bestimmend für das Bild ist indes eine Gemeinsamkeit der beiden Perspektiven, wenn es um Investitionen in die materielle Sicherheit geht. Dies bezieht sich insbesondere darauf, Geld anzulegen und/oder zu sparen. Des Weiteren zeigt sich, wie allerdings auch zu erwarten war, dass bei den Ratschlägen jene dominieren, die sich um die Sicherung der Existenz drehen, wie zum Beispiel das Geld für die Schuldenabzahlung zu verwenden (was fast jeder vorschlagen würde) oder für die Altersvorsorge, was im Hinblick auf aktuelle Diskussionen um die Altersarmut sofort nachvollziehbar ist. Es wundert daher nicht, dass hier enge Zusammenhänge zu beobachten sind: Individuen mit niedrigem monatlichem Nettoeinkommen, junge Menschen und solche mit Migrationshintergrund würden überdurchschnittlich häufig auch aus ihrer persönlichen Sicht das Geld in ihre Alterssicherung investieren. Überlegungen, wie zusätzliche finanzielle Ressourcen genutzt werden, sind somit nicht unabhängig von der sozialen Lage, besonders wenn nach den persönlichen Präferenzen gefragt wird.

Kreisdiagramme zeigen anhand der Beispiele Kleidung und Reisen nach ökonomischem Status aufgeschlüsselt, wie unverhoffte Geldsummen ausgegeben werden. Überschrift: "Verwendung der unverhofften 3.000 Euro nach ökonomischem Status: Deutliche Unterschiede zwischen der eigenen Präferenz und der Empfehlung".

Dies ist aber nur die eine Seite. Wie bereits ausgeführt unterscheiden Soziologen zwischen verschiedenen Kapitalsorten, darunter das soziale Kapital, das sich aus sozialen Netzwerken und Beziehungen ergibt. In Bezug auf Präferenzen und das Verhältnis von normalem Kapital ­
(z. B. ökonomisches Kapital) zu sozialem Kapital argumentierte etwa Bourdieu, dass die individuellen Präferenzen und Entscheidungen einer Person oft von ihrem sozialen Kapital beeinflusst werden. Menschen neigen dazu, sich entsprechend der Normen und Werte ihrer sozialen Gruppen zu verhalten, um soziale Anerkennung und Akzeptanz zu erlangen. Daher kann das soziale Kapital einer Person ihre Präferenzen und Entscheidungen in Bezug auf Kleidung, Konsumverhalten und andere Lebensbereiche beeinflussen. Kleidung ist also nicht nur eine persönliche Vorliebe, sondern auch ein soziales Symbol, das die soziale Position und das kulturelle Kapital einer Person reflektiert. Bourdieu betonte, dass Menschen ihre Kleidung oft bewusst oder unbewusst wählen, um in ihrer sozialen Gruppe akzeptiert zu werden und um ihren sozialen Status auszudrücken. Kleidung kann somit ein Instrument sein, soziale Hierarchien zu reproduzieren und sich von anderen abzugrenzen.

Eine Tabelle stellt die Ergebnisse einer Faktoranalyse dar. Überschrift "Faktoranalyse der Investitionsempfehlungen an die Familie: Entweder verprassen oder bodenständig verwalten".

Interessant ist vor diesem Hintergrund der Befund in der bevölkerungsrepräsentativen Erhebung, dass gleich nach Ratschlägen, die auf die Sicherung der materiellen Existenz abzielen, der Vorschlag kommt, das Geld für Kleidung auszugeben. Bemerkenswert ist zudem, dass man aus persönlicher Sicht darauf keinen so großen Wert zu legen scheint, wie der Ratschlag an andere vielleicht suggerieren würde. Dies trifft allerdings auf Personen mit sehr niedrigem ökonomischem Status nicht zu. Dieser Personenkreis nämlich legt aus ihrer persönlichen Sicht überdurchschnittlich hohen Wert darauf, verfügbares Einkommen in Kleidung zu investieren. Dabei spielt, für uns unerwartet, Alter keine Rolle.

Erstaunlich ist zudem, dass anders als die Alterssicherung ein weiteres aktuelles gesellschaftliches Phänomen bei individuellen Investitionsüberlegungen wenig beachtet wird, und zwar die berufliche Weiterbildung. Angesichts der Diskussion um die Digitalisierung und die tiefgreifenden Veränderungen der Arbeitswelt durch den Ausstieg aus der fossilen Wirtschaft hätten wir erwartet, dass Investitionen in Ausbildung, Studium und Weiterbildung von den Individuen präferiert werden. Im Konzert der geschilderten Optionen für Investitionen spielt dieser Sachverhalt bei den persönlichen Überlegungen so gut wie keine Rolle. Auch als Ratschlag an andere ist eine solche Investition eher von untergeordneter Bedeutung.

Zusammengefasst kann festgehalten werden: Das In­vestitionsverhalten von Bürgerinnen und Bürgern ist offen­bar äußerst variabel und kann sich von Person zu Person stark unter­scheiden. Es gibt keine einfachen und klaren Muster. Allerdings sind den Individuen In­vestitionen in die Sicherung der materiellen Lage sehr wichtig und solche in das soziale Kapital sind ihnen nicht fremd. Wichtig zu beachten ist, dass sich Investitionspräferenzen und -verhalten im Laufe der Zeit ändern können, da sie auch abhängig sind von der jeweiligen Lebenssituation und den wirtschaftlichen Bedingungen sowie vom gesellschaft­lichen Diskurs.

Dieser Beitrag wurde zuerst in Lagemaß 13 „investieren“ veröffentlicht.

Zum Weiterlesen:

Pierre Bourdieu (1982): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Suhrkamp, Frankfurt