Eine Straße weiter sind Lage und Rendite angeblich besser
Der folgende Beitrag wurde von Michael Herter und Barbara Wawrzyniak (beide vom infas-Schwesterunternehmen infas 360) für die 13. Ausgabe des „Lagemaß“ verfasst.
Bei der Suche nach dem perfekten Zuhause spielen viele Faktoren eine entscheidende Rolle: die Größe der Räumlichkeiten, die Ausstattung, die Nähe zu wichtigen Einrichtungen und nicht zuletzt – die Wohnlage. Sie ist mehr als nur eine Adresse, denn sie definiert unseren Alltag, beeinflusst unsere Lebensqualität und prägt unser soziales Umfeld. Ob in urbanen Zentren, malerischen Vororten oder ländlichen Gebieten – die Wahl der richtigen Wohnlage kann einen signifikanten Einfluss auf unser tägliches Leben haben.
Allgemein formuliert beschreibt die Lage einen Ort in Bezug auf seine räumliche Umgebung, deren Bewertung ein Verhältnis zu anderen Lagen darstellt. So besitzt beispielsweise ein Ort mit einer „verkehrsgünstigen Lage“ eine bessere infrastrukturelle Anbindung als andere Orte mit deren Umgebung. Bei der Wohnlage wird das Wohnumfeld bewertet und mit anderen Wohnlagen verglichen.
Die Wohnlage zählt zu den bedeutendsten Faktoren, die den Preis einer Immobilie bestimmen. Hier überwiegen die wirtschaftlichen Prinzipien von Angebot und Nachfrage, da die Wahl der Wohnlage von entscheidender Bedeutung für die Lebensqualität eines Individuums ist. Sie hat direkte Auswirkungen auf verschiedene Aspekte des täglichen Lebens, die unter dem Einfluss zahlreicher, unterschiedlicher sozio-kultureller, ökonomischer, ökologischer und infrastruktureller Faktoren stehen. Dazu gehören beispielsweise die nachbarschaftliche Verbundenheit, Nähe zum Arbeitsplatz, Bildungseinrichtungen und Einkaufszentren sowie öffentliche Verkehrsmittel und Freizeitmöglichkeiten.
Die Liste lagebestimmender Faktoren kann dabei beliebig lang werden. Denn eine allgemeingültige, eindeutige Definition, was in eine Wohnlagenbewertung einfließt, gibt es nicht – weder für die Art und Anzahl der Faktoren noch für deren Gewichtung oder gar die räumliche Abgrenzung von Ort und Umfeld. Die einen bewerten Wohnlagen nach Stadtvierteln, die anderen nach Straßenzügen. Die einen ziehen makrogeografische Umfeldfaktoren hinzu, wie z. B. Entfernung zum Oberzentrum, die anderen eher mikrogeografische, wie etwa eine angrenzende Parkanlage.
Menschliche Einschätzung versus Data Driven
Immobilienbewerter und Gutachterausschüsse entwickelten im Laufe der letzten Jahrzehnte völlig individuelle Verfahren, die Wohnlage in Städten und Kommunen zu bewerten. Auf Basis von Erfahrungen darüber, was Kauf- und Mietpreise in die Höhe treibt, wurden Gebietskarten unterschiedlicher Granularität entwickelt, die je nach Lage und Umgebung zu einer menschlich-fachlichen Klassifizierung ortsbezogener Wohnlagen führte.
In der Stadt Bonn entstand so zuletzt noch die vom Gutachterausschuss beschlossene Wohnlagenkarte 2022, die im Mietspiegel 2022 Anwendung findet. Bei der Ermittlung der Wohnlagenwerte spielen zwei Faktoren eine entscheidende Rolle:
1) Sieben Merkmalsgruppen, ihrerseits unter Berücksichtigung von Einzelaspekten
(a) Infrastruktur, (b) Verkehrsanbindung, (c) Stadtgrün,
(d) Wertschätzung (Image), (e) Straßenbild, (f) Belastungen als Korrektur wie Straßenlärm, (g) Besondere Ortsteile unter Berücksichtigung besonderer Tendenzen auf dem Mietwohnungsmarkt (Nachfragesituation) sowie
2) die Wohnlagenquartierskarte, die 1996 eingeführt und mittels „human intelligence“ geografisch fortlaufend zugeschnitten wurde.
Für die Bewertung der einzelnen „Wohnlagenquartiere” wurde ein gewichtetes Punktesystem verwendet. Hierzu wurde jede Merkmalsgruppe in eine Skala sachverständig eingeordnet. Aus der Summe aller Einzelbewertungen ergibt sich ein Wohnlagewert je Wohnlagenquartier. Im Ergebnis soll so beispielsweise die Lage in der verkehrsberuhigten Telemannstraße mit villenähnlichen Einfamilienhäusern nur mittel (10,5), in der angrenzenden Bismarckallee aber gut (12,5) sein.
Weder eine durchgehende, homogene Datenlage zu den oben genannten Einzelaspekten (z. B. eine aktuelle, flächendeckende, feinräumige Lärmkarte) noch ein mathematisches Modell zur Herleitung einer nachvollziehbaren Merkmalsgewichtung noch eine gebäudegenaue Bewertung sind Bestandteil dieser herkömmlichen „human driven“ Verfahren, die Bonn, aber auch zahlreiche andere Städte verwenden.
Data Driven: objektiv nachvollzieh- und konfigurierbar
Die Generierung einer objektiven Wohnlage gelingt nur mit einer guten und nachvollziehbaren Datenlage. infas 360 verfügt über flächendeckende, mikrogeografische Daten, die bis hinunter auf die Adressebene für jede Gemeinde in Deutschland vorliegen. Mithilfe dieser Gebäudedatenbank kann die Wohnlage für jede Stadt und jede Kommune in Deutschland über objektive Informationen zu verschiedenen Aspekten einer Wohngegend adressgenau berechnet werden. Dies ermöglicht eine fundierte, automatisierte und transparente Bewertung für jede Immobilie, was vor allem zur Vermeidung von subjektiven Einschätzungen beiträgt.
Die wesentlichen Merkmale, die bei infas 360 bei der Berechnung der adressgenauen Wohnlage einfließen, sind folgende:
Umliegende (Wohn-)Bebauung (wie Nachbarschaftsbebauung und Bebauungsdichte), Lärmimmissionen, Lage des Gebäudes hinsichtlich diverser Faktoren, beispielsweise Ortslage (zentral/dezentral) oder Distanz zum nächsten Gewässer,Infrastruktur im Wohnumfeld: Geschäfte für den täglichen Bedarf in der Umgebung, ÖPNV-Anbindung, Gebäudetyp und -nutzung und weitere Faktoren, z. B. Arbeitslosenquote, soziale Schicht und Kaufpreise.
Aus diesen Faktoren wird eine Gewichtung berechnet, die eine Kategorisierung der Einzeladressen ermöglicht. Dabei kann die Skalierung beliebig angepasst werden, für die Mietspiegelberechnungen wird in der Regel eine drei- oder vierstufige Einteilung verwendet: „sehr gute Lage“, „gute Lage“, „durchschnittliche Lage“ und „schlechte Lage“. Diese Einteilung dient dazu, Unterschiede in der Attraktivität der Wohngegenden zu berücksichtigen und Mietpreise entsprechend anzupassen.
Die Rolle der Wohnlage im Mietspiegel
Die Wohnlage ist gesetzlich in der Mietspiegelbildung verankert (siehe § 558 Abs. 2 Satz 1 BGB) und verweist auf einen direkten Zusammenhang zwischen Wohnlage und Miethöhe. „Ferner ist – auch bereits durch die genannte Formulierung – auf den ersten Blick davon auszugehen, dass (1) die Lage auf die Miete wirkt und nicht umgekehrt, dass (2) eine bessere Lage zu einer höheren Miete führt und (3), dass die Lage einen nicht unerheblichen Beitrag zur Erklärung der Miethöhe leistet.“ ( Promann 2012: 47) Sie muss folglich Bestandteil eines jeden qualifizierten Mietspiegels sein. Mit der Reform des Mietspiegelrechts von Juli 2022 ist die Erstellung eines Mietspiegels für Städte mit mehr als 50.000 Einwohnenden verpflichtend. Das betrifft aktuell 193 Städte in Deutschland.
Gerade kleinere Städte (50-100.000 Einwohner) sind von dieser Reform betroffen und verfügen oftmals nicht über feinräumige Wohnlagen. Darunter fällt beispielsweise die Stadt Langenfeld in Nordrhein-Westfalen mit 59.233 Einwohnern. In der folgenden Karte ist ein Ausschnitt für Langenfeld mit den Gebäudeumringen und Flurstücksflächen dargestellt. Die Gebäude sind nach der Wertigkeit der Wohnlage eingefärbt.
Die Bereitstellung einer datengetriebenen Wohnlage für alle Kommunen in Deutschland bietet nicht nur den Vorteil, dass den Gemeinden selbst eine aufwändige, mitunter subjektiv getriebene Wohnlagebewertung erspart bleibt: Sie können darüber hinaus sowohl die Faktorenliste als auch ihren Einfluss (Gewichtung) mitbestimmen und so die Wohnlage je Kommune beliebig individualisieren. Dabei bleiben die Vorteile des Data-Driven-Ansatzes bestehen. Alle Faktoren, Berechnungsgrundlagen und Klassifizierungen sind transparent, nachvollziehbar und jederzeit reproduzierbar bzw. entsprechend veränderbar.
Die Bedeutung der Wohnlage geht über den Einsatz im Mietspiegel hinaus. Sie findet weitere Anwendungsmöglichkeiten, u. a. in Grundstücksbewertungen, der Stadtplanung (Ableitung von Soll-Wohnlagebewertungen (Neubau), Verbesserung von Wohnlagequalität (Bestand) und in Nachfolgeregelungen für die Festlegung des Einheitswerts zur Ermittlung der Grundsteuer. In der Immobilienwirtschaft dient die Wohnlage zur Festlegung von Finanzierungen, Bildung von Preiskategorien, Risikoeinschätzung hinsichtlich Wiederverkäuflichkeit durch Banken und Rating von Objekten.
Hier geht es zu weiterführenden Informationen von infas 360 zum Thema Einfluss der Wohnlage auf den Mietspiegel.
Dieser Beitrag wurde zuerst in Lagemaß 13 „investieren“ veröffentlicht.
Zum Weiterlesen
Promann, J. (2012). Die Berücksichtigung des Wohnwertmerkmals Lage in den Mietspiegeln der deutschen Großstädte: Bestandsaufnahme, theoretische Einbettung und ein GIS-gestütztes Verfahren zur standardisierten Wohnlageermittlung (1. Aufl.). Lohmar [u.a.] : Eul.