Interviewer-Schulungen im digitalen Zeitalter

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Persönliche Schulungen von Interviewern im Vorfeld von Erhebungen sind ein zentraler Aspekt der empirischen Sozialforschung und fester Bestandteil der Qualitätssicherung. Bei infas sind sie obligatorisch. In eintägigen Grundschulungsveranstaltungen werden die Basisqualifikationen vermittelt. In darauf aufbauenden Briefings und Projektschulungen erlangen die Interviewer studienspezifisches Wissen.

Daikeler und Bosnjak (2020) konnten in einer umfassenden Metaanalyse zeigen, dass geschulte Interviewer im Vergleich zu Nichtgeschulten signifikant höhere Kooperationsraten generieren, eine bessere Datenqualität in den Interviews aufweisen und weniger Messfehler einbringen. Mittereder et al. (2018) zeigen, dass geschulte Interviewer professioneller reagieren, etwa wenn
Befragte Verständnisschwierigkeiten haben und nicht direkt auf Fragen antworten können. Und nicht zufällig ist das Training der Interviewer basaler Bestandteil der GESIS Survey Guidelines („General Interviewer Training Curriculum for Computer-Assisted Personal Interviews“, Daikeler et al. 2017).

2021 wurden bei infas 647 Schulungsveranstaltungen durchgeführt. Dabei wurden 7.807 Teilnehmer aus dem CAPI- und CATI-Feld geschult; einige haben an mehreren teilgenommen. Die Schulungsprogramme variieren in ihrer Dauer und Komplexität erheblich. Für kurze Ad-hocBefragungen im Telefonstudio werden Interviewer in der Regel in einstündigen Briefings vorbereitet. Komplexe Projekte, wie das „Panel Arbeitsmarkt und soziale Sicherung” (PASS) oder das „Nationale Bildungspanel” (NEPS), erfordern aufwendigere Schulungsmaßnahmen mit Wissenstests und Probeinterviews. Diese können sich über mehrere Tage erstrecken. In die Umsetzung sind die Projektleitung, das infas-Schulungsteam, aber auch der Auftraggeber involviert.

Digitalisierungsbeschleuniger Corona

Während Schulungen in der Vergangenheit überwiegend in Präsenz durchgeführt wurden, hat uns die CovidPandemie vor neue Herausforderungen gestellt. Es wurde ein Wechsel von einer digital-analogen Schulung hin zu rein digitalen Schulungsprogrammen vollzogen.

Konzepte digitalisierter Schulungen sind im Grunde keine Neuheit. Seit über zwanzig Jahren verbreiten sich E-Learning-Varianten in Bildungseinrichtungen. Auch bei infas fanden sich bereits digitale Elemente in Schulungen.

Primär handelte es sich dabei um eine hybride Schulungsform, bei der Präsenzveranstaltungen um digitale Elemente ergänzt wurden. Diese Mischung wird in der Didaktik als ‚blended learning‘ bezeichnet. Lerninhalte werden nicht nur in der Veranstaltung vermittelt, sondern durch eine Vor- und Nachbereitungsphase flankiert. Die Schulungsteilnehmer können sich während der Veranstaltung auf das Wesentliche konzentrieren. Neu hinzugekommen ist nun die vollständige Überführung analoger Inhalte in den digitalen Raum.

Technisch gestaltete sich diese Transformation unproblematisch. E-Learning-Plattformen und Software für Webinare sind vorhanden und den Interviewern aus anderen Zusammenhängen wie Schule oder Universität oft geläufig. Die Schwierigkeit lag bei der Übersetzung komplexer sozialwissenschaftlicher Verfahrensweisen aus ein- oder mehrtägigen Präsenzschulungen in fokussierte digitale Formate. Dies gelang, indem Teile der Veranstaltung auf eine bereits etablierte E-Learning-Plattform, nämlich Moodle, ausgelagert wurden.

Chart: Beurteilung einer Interviewer-Schulung: Digitalisierung bringt Vorteile

Die Adaptivität dieser Plattform ermöglicht es dem Interviewer, jederzeit die Vor- und Nachbereitung in einer durch die Schulungsleitung vorgegebenen Struktur zu durchlaufen. Zudem kann er seinen Lernerfolg einsehen und sofort Feedback erhalten. Im Hintergrund werden automatisch Statistiken erzeugt, durch die Lernfortschritte des einzelnen Interviewers nicht nur überprüft, sondern die Art der Wissensvermittlung an die studienspezifischen Anforderungen angepasst werden kann. Diese Überprüfung erfolgt über eine Lernstandserhebung, welche Teil der Vorbereitungsphase ist.

Aufseiten der Interviewer ist die Umstellung eine Herausforderung – ein Aufeinandertreffen verschiedener Ansprüche. Ins Gewicht fallen soziale Aspekte, aber auch die Ansprüche der Schulungsleitung, komplexe Sachverhalte anschaulich vermitteln zu können. Während bei Studenten in rein digitalen Schulungsumgebungen Aspekte wie Einsamkeit und Motivation eine große Rolle spielen, kommen bei den Interviewern weitere Themen hinzu. Beispielsweise der ‚digital divide‘, der stärker ins Gewicht fällt als bei anderen Lernformen. Während eines Webinars ist es selbstverständlich schwieriger, den Grad an Interaktion herzustellen, den der Interviewer von einer Präsenzveranstaltung gewohnt ist. Abhilfe schaffen Optionen wie Videoübertragungen, Wortmeldungen per Chat, Quizfragen oder Gruppenübungen.

Mit der Digitalisierung ändert sich zudem der Zeitfaktor, was nicht nur die Anreise zum Schulungsort, sondern auch die Dauer der Veranstaltung betrifft. Tagesveranstaltungen sind als Webinar nicht praktikabel, da ab etwa vier Stunden trotz Pausen die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden abnimmt. Um trotzdem dieselben Inhalte vermitteln zu können, müssen die Interviewer bei komplexeren Studien eine digital gestützte Vor- und Nachbereitungsphase durchlaufen. Diese werden durch analoge sowie digitale Unterlagen und Wissensabfragen auf der infas eigenen E-Learning-Plattform realisiert. Das hat den Vorteil, dass sich Interviewer ihre Lernpakete entsprechend ihres Lerntyps einteilen können. Die Schulungsleitung kann dabei direkt Fragen beantworten und Hilfestellung leisten. Diesem interaktiven Feature wünschen die Interviewer in Schulungsevaluationen einen höheren Stellenwert.

Vielversprechende Ergebnisse

In den Evaluationen, die infas mit allen Teilnehmern im Anschluss an jede Schulung durchführt, zeigen sich erfreuliche Ergebnisse für das vergangene Jahr: In 93 Prozent der Rückmeldungen werden die Webinare als gut oder sehr gut bewertet. Vier von fünf gaben an, dass sie den Inhalten der Veranstaltungen voll und gänzlich folgen konnten. Und fast alle Teilnehmer der Grundschulungen fühlten sich auf die Interviewertätigkeit gut vorbereitet.

Im Rahmen des PASS-Projekts, bei dem nach jeder Erhebungswelle evaluiert wird, zeigt sich, dass sich die Interviewer durch Webinar-Schulungen teilweise deutlich besser auf schwierige Situationen im Interview vorbereitet fühlen als durch die vorherige Präsenzschulung. Zudem empfinden mehr als 80 Prozent der Interviewer aus der jüngsten Erhebungswelle die Umstellung des
Schulungskonzeptes von einer Präsenz- auf eine Webinar-Veranstaltung als „gut“ oder „sehr gut“. Einzelne Rückmeldungen von langjährigen Interviewern bestätigen, dass die Digitalisierung der Veranstaltungen als sehr fruchtbar und angenehm empfunden wird. Eine Erklärung dafür ist womöglich, dass viele Interviewer für Präsenzschulungen aus ganz Deutschland anreisen mussten und nun bequemer von zu Hause aus den Webinaren folgen können. Das ist für das Institut auch insofern interessant, als sich dadurch die Schulungshonorare merklich reduzieren. Andererseits geben Interviewer an, wieder mehr persönlichen Austausch haben zu wollen, den Präsenz-Schulungen ermöglichen würden.

Mittelfristig ist bei infas eine Mischform von Präsenz- und Webinar-Schulungen geplant. Dieser Kompromiss kann die Vorteile beider Konzepte vereinen – psychosoziale und didaktische Aspekte einer Präsenzveranstaltung einerseits, Ressourceneinsparungen und Effizienzsteigerung durch digitale Maßnahmen andererseits. Konkret kann somit ein persönlicher Austausch vor Ort mit den
Projektverantwortlichen erfolgen, während auf digitalem Wege der Lernprozess für den Interviewer transparenter strukturiert werden kann. Perspektivisch können durch Ansätze wie ‚Gamification‘, also der Nutzung von spielerischen Belohnungsmechanismen, zusätzliche Anreize für den Interviewer geschaffen werden, sich intensiv mit den Inhalten der Studie auseinanderzusetzen.

Beide Modi müssen im Rahmen eines Schulungsprogramms eng miteinander verzahnt und im Rahmen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses stetig optimiert werden. Eine Digitalisierung von Schulungsmaßnahmen darf nicht dazu führen, dass ursprüngliche Präsenzkonzepte eins zu eins in den digitalen Raum verlagert werden. Vielmehr geht es darum, die Eigenheiten und Synergieeffekte digitaler Medien so zu nutzen, dass Interviewer bestmöglich aktiviert werden, um das Wissen nachhaltig zu vermitteln. Die Schulung sollte für den Interviewer nicht nur ein Lernprozess, sondern eine Lernerfahrung sein, um zu gewährleisten, dass der Interviewer inhaltlich sicher und motiviert seiner Tätigkeit nachgehen kann.

Zum Weiterlesen:
Daikeler, J., Bosnjak, M. (2020): How to Conduct Effective Interviewer Training. In: Kreuter F. et al. (Hrsg.): Interviewer Effects from a Total Survey Error Perspective, Chapman and Hall, New York
Daikeler, J., Silber, H., Bosnjak, M., Zabal, A., Martin, S., (2017): A General Interviewer Training Curriculum for Computer-Assisted Personal Interviews. In: GESIS Survey Guidelines. Mannheim.
Mittereder, F. et al. (2018): Interviewer–respondent Interactions in Conversational and Standardized Interviewing, Field Methods, 30(1), S. 3–21.

Foto von Ishtiaque Hossain auf Unsplash