Digitalisierung im Sinne einer stetigen Bedeutungszunahme von Informationstechnologie in allen Lebensbereichen, nicht zuletzt der Arbeitswelt, gilt als einer der Megatrends in den zusehends vernetzten, globalisierten Gesellschaften der Gegenwart. In der Arbeitswelt verändern sich dadurch die Zugangswege zu und die Transparenz von Arbeitsmärkten. Zugleich wandeln sich durch die Digitalisierung grundlegende Arbeitsbedingungen, die Kompetenzanforderungen und Informationsmöglichkeiten für die Ausübung der beruflichen Tätigkeiten. Dieser Digitalisierungstrend gilt als Globalaussage weithin als unstrittig. Im Detail klärungsbedürftig ist allerdings der aktuelle Stand der Digitalisierung, ebenso wie die Erwartungen der (erwerbstätigen) Menschen an die Digitalisierung. Wie sieht es damit aus?
Ein Blick in einige Studien mit infas-Beteiligung trägt zur Klärung bei, darunter die Studien „Quality of work Luxemburg“ (Qow), „Koordinaten der Arbeit im Land Bremen“ sowie die Studie „Arbeitsqualität und wirtschaftlicher Erfolg“ (zitiert als LPP-Studie bzw. Arnold et al. 2017) – alles regelmäßig wiederholte Beschäftigtenbefragungen.
Einsatz digitaler Technik am Arbeitsplatz
Zunächst zur allgemeinen Betroffenheit von Digitalisierung in der alltäglichen Arbeitspraxis. Ist das Glas nun halb voll oder halb leer? Fest steht, Computer und Internetnutzung prägen den Arbeitsalltag breiter Beschäftigtenmehrheiten (zwischen 70 und 80 Prozent der Beschäftigten in Bremen; über 80 Prozent der Beschäftigten in deutschen Betrieben mit mehr als 50 Mitarbeitern (LPP)). Die Nutzungshäufigkeit speziellerer Digitaltechnik fällt dagegen um einiges kleiner aus, wie die bremische Beschäftigtenstudie zeigt. Digitale Lesegeräte, worunter Scanner- und Lasertechnikanwendungen fallen, sind noch weit verbreitet (58 Prozent). Digitale Steuerungseinrichtungen und -instrumente werden hingegen deutlich seltener genutzt (24 Prozent). Noch spezieller und bei noch weniger Arbeitskräften im Einsatz sind digitale Diagnosegeräte (15 Prozent), digitale Fertigungsanlagen und -geräte (elektronische Maschinen, Roboter, 3-D-Drucker; 15 Prozent) sowie innovative Visualisierungstechnologien (wie Datenbrillen und Ähnliches; 6 Prozent). Diese Ergebnisse zeigen, wird relativ genau und nach spezifischen Digitalanwendungen gefragt, ergeben sich deutlich bescheidenere Anteile für diese Anwendungen als wenn mit kumulativen Sammelkategorien gearbeitet wird (wie beispielsweise die Zusammenfassung ganz unterschiedlicher Geräte wie Scanner und Datenbrillen in einem Frageitem; siehe DGB 2016).
Unterschiede der Digitalisierungsbetroffenheit nach Branchen und Berufen
Digitalisierung am Arbeitsplatz unterscheidet sich also hinsichtlich des Technisierungsgrades. Dieser Unterschied im „High-Tech-Faktor“ spiegelt sich wie – der um auch in der Branchenbetroffenheit von Digitalisierung. Viele Studien, darunter unsere eigenen, unterstreichen die ausgeprägte Relevanz der technikinduzierten Veränderungen vor allem bei Beschäftigten in der Informations- und Kommunikationsbranche sowie im verarbeitenden Gewerbe. Im Gegensatz dazu fallen die spürbaren Effekte der Digitalisierung in den meisten anderen Branchen deutlich schwächer aus, am geringsten bei den Beschäftigten im Gastgewerbe und dem Baugewerbe.
Korrespondierend dazu stellt sich das Ausmaß der technologischen Veränderungen vor allem nach Berufsgruppen sehr unterschiedlich dar. Führungskräfte, Akademiker, Techniker und verwandte Berufe sowie Büroarbeitskräfte fühlen sich beispielsweise in Luxemburg besonders stark von Digitalisierungseffekten betroffen.
Bei Dienstleistungs- und Verkaufsberufen, im Handwerk oder auch bei Anlagenbedienern und Monteurberufen spielt Digitalisierung dagegen noch eine vergleichsweise kleine Rolle. In Bremen haben sich insbesondere unternehmensbezogene Dienstleistungsberufe (51 Prozent), IT- und naturwissenschaftliche Berufe (49 Pro zent) und fertigungstechnische Berufe (45 Prozent) in den letzten drei Jahren durch Digitalisierung verändert, Reinigungsberufe (13 Prozent) und soziale und kulturelle Dienstleistungsberufe (22 Prozent) am wenigsten. Die LPP-Studie bestätigt, je höher das Ausbildungsniveau, desto häufiger wird Informations- und Kommunikationstechnik praktisch im Beruf genutzt (Arnold et al. 2017).
Die Betroffenheit von Digitalisierung wird unter anderem am Ausmaß der Veränderung der Arbeit durch digitale Technologien in einem defi nierten Bezugsrahmen gemessen. So geben etwa im Bundesland Bremen insgesamt 36 Prozent der Beschäftigten ein hohes Maß an digitalisierungsbedingten Veränderungen am Arbeitsplatz in den letzten drei Jahren an. Ist dies nun viel oder wenig? Fest steht: Wird etwas allgemeiner – und damit eher ungenauer – gefragt (wie: „In welchem Maße betrifft die Digitalisierung auch Ihre Arbeit?“), steigt auch die gemessene Digitalisierungsbetroffenheit. Bei den Beschäftigten in Luxemburg zeigen sich demzufolge insgesamt 56 Prozent in hohem Maße betroffen (Qow 2017), bei den Beschäftigten in Deutschland 60 Prozent (DGB 2016).
Digitalisierungsbetroffenheit als „Mobilarbeit“
Um einer Antwort auf die Frage der Digitalisierungseffekte am Arbeitsmarkt noch näher zu kommen, ist es hilfreich, einen Blick auf besondere Beschäftigtengruppen zu werfen. So sind im Zuge der Digitalisierung auch neue – und umstrittene – Erwerbsformen wie zum Beispiel Plattformbeschäftigung („Crowdworking“) entstanden (dazu u.a. Schmidt 2016). Der genaue Umfang plattformbasierter Erwerbsarbeit ist indes unbekannt. Aus den verfügbaren, zum Teil unsicheren befragungsbasierten Studien lässt sich allenfalls eine ungefähre Größenordnung von 0,5 bis 1 Prozent der Erwerbspersonen abschätzen (vgl. Maier & Viete 2017). Bei den sogenannten Mobilbeschäftigten – als einer Untergruppe von regulär abhängig Beschäftigten – sind die Größenordnungen besser quantifizierbar. Bei Mobilbeschäftigten fallen regelmäßige mobile Arbeitsorte mit gleichzeitiger Angewiesenheit auf Digitaltechnik zusammen (vgl. Brandt 2010; Brandt & Brandl 2008). Solche Mobilbeschäftigten können demnach als die Erwerbstätigengruppe begriffen werden, die im Vergleich zu anderen eschäftigtengruppen in besonders hohem Maße entgrenzt und digital arbeitet.
Wie groß ist diese Gruppe?
In Bremen liegt der Anteil der „Voll-Mobilarbeitenden“, die mindestens 25 Prozent ihrer Arbeitszeit an wechselnden Arbeitsorten tätig sind und hierbei auf mobile und digitale Technik angewiesen sind, bei 3,6 Prozent der Beschäftigten. Dabei handelt es sich vor allem um Arbeitskräfte in Berufen der Fertigungstechnik, in Führung und Management, sozialen und kulturellen Dienstleistungen sowie in Verkehr und Logistik. In Luxemburg umfasst der Anteil der Mobilbeschäftigten (bei ähnlicher, aber nicht ganz identischer Operationalisierung) sogar nur etwas über 2 Prozent, die überwiegend auf Beschäftigte in akademischen und technischen Berufen entfallen. Zusammengefasst erscheint das Ausmaß der Digitalisierung gemessen an der Beschäftigungsform der Mobilarbeit also definitiv noch weit entfernt von einem Massenphänomen.
Weiterbildung und Lebenslanges Lernen
Von den Beschäftigten, die sich selber als hoch digitalisierungsbetroffen einschätzen, gehen jeweils große Mehrheiten der Beschäftigten von einem sehr hohen individuellen Weiterbildungs- oder Weiterentwicklungsbedarf aus, um mit den digitalisierungsbedingten Änderungen Schritt halten zu können. Für das Bundesland Bremen wie für die Bundesrepublik insgesamt (LPP-Studie) sind dies jeweils über drei Viertel (jeweils um 78 Prozent), in der Luxemburger Studie(2017) liegt der entsprechende Wert bei gut zwei Dritteln. Diese Beschäftigten konstatieren auch mehrheitlich eine technologisch bedingte Zunahme der zu erledigenden Aufgaben (70 Prozent Bremen, 54 Prozent QuW, 65 Prozent LPP-Studie). Nur etwa 20 Prozent der Befragten in Bremen fürchten Einschränkungen des persönlichen Tätigkeitsprofils aufgrund der technologischen Neuerungen (LPP-Befragung: 15 Prozent).
Digitalisierung und Unsicherheit der Zukunft
Von der Digitalisierung werden auch weitreichende Änderungen bei der Beschäftigungsentwicklung insgesamt und bei Berufsgruppen erwartet. Prognosen dazu bleiben aber notwendig mit Unsicherheiten behaftet, die Plausibilität von Szenarien hängt von ihren Annahmen ab (vgl. Vogler-Ludwig 2017; BIBB/IAB 2015). Zugleich bildet der Faktor Zeit die kritische Größe. Je länger der Schatten der Zukunft, desto ungenauer und unzuverlässiger werden Aussagen zum Beispiel zu erwartbaren
Nachfragestrukturen oder zu Qualifikationsbedarfen. Zugleich führt Digitalisierung auch bei Beschäftigten zu Verunsicherungen und Unsicherheiten mit Blick auf die Zukunft. So ist immerhin für ein knappes Zehntel der bremischen Arbeitnehmerschaft ein technologischbedingter Wegfall des Arbeitsplatzes Anlass zur Sorge. In der LPP-Studie (Arnold et al. 2017) halten 13 Prozent der Beschäftigten eine Übernahme ihrer Tätigkeit durch Maschinen in den nächsten zehn Jahren für wahrscheinlich, bei Geringqualifizierten ist dieser Wert mehr als doppelt, bei Höherqualifizierten nur halb so hoch.
Bei einem Fünftel der Deutschen liegt überdies zum Beispiel Unsicherheit darüber vor, welche Ausbildung den eigenen Kindern angesichts der Digitalisierung empfohlen werden kann, so die Vermächtnisstudie von ZEIT, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und infas (Erhebungswelle 2018). Bei Personen mit Volksoder Hauptschulabschluss betrifft diese Unsicherheit sogar ein Drittel. Etwa ebenso hoch (30 Prozent) ist in der Vermächtnisstudie der Anteil derjenigen, die eine Übernahme und Durchdringung der Lebenswelt durch Digitaltechnologien (Automatisierung, künstliche Intelligenz) befürchten, einhergehend mit hohen Arbeitsplatzverlusten und persönlicher Machtlosigkeit. Im Gegensatz dazu wird die Notwendigkeit zum lebenslangen Lernen mit hoher Selbstverständlichkeit angenommen, die Digitalisierung bedeutet in dieser Hinsicht auch gar nichts Neues. Außerdem, so dieselbe Studie, zeigen sich rund zwei Drittel der Befragten zuversichtlich, dass Digitalisierung in der Zukunft als wichtiger und zugleich selbstverständlicher Teil des Lebens angesehen wird.
Fazit
Computer- und Internetnutzung sind im Arbeitsalltag der meisten fest verankert, aber die Verbreitung speziellerer, innovativer Digitaltechniken konzentriert sich bei Beschäftigten in Branchen der Informations- und Kommunikationstechnik und dem verarbeitenden Gewerbe. Für Beschäftigte mit einem höheren Ausbildungslevel und qualifi zierten Funktionen wirkt sich die Digitalisierung der Arbeitswelt bisher am deutlichsten aus. Spürbare Veränderungen am Arbeitsplatz durch Digitalisierung treffen aber keineswegs flächendeckend auf alle Beschäftigten(gruppen) zu. Auch die Anteile regulär (abhängig) Beschäftigter, die unter Einsatz von Digitaltechnik regelmäßig an mobilen Arbeitsorten tätig sind, sind momentan eher noch gering. Digitalisierung ist in aller Munde, durchdringt aber mitnichten schon alle Tätigkeiten und Berufe. Inwieweit eine ubiquitäre Digitalisierung tatsächlich die Zukunft der Arbeitswelt bestimmen wird, ist insofern längst noch nicht ausgemacht.
Digitalisierungsängste sind gerade bei Beschäftigten in einfacheren Tätigkeiten und mit geringerem Qualifikationsniveau stärker verbreitet. Der Digitalisierung wird in Deutschland aber im Grunde mit Zuversicht begegnet. Insofern ist der Schatten der Zukunft zwar lang, aber nicht nur dunkel. Breite Mehrheiten der Beschäftigten und Erwerbspersonen erachten zudem Weiterbildungsbereitschaft und lebenslanges Lernen als notwendig und sinnvoll, entscheidend ist aber die realisierte Weiterbildung. In dieser Hinsicht wird es in der Praxis unter anderem zusehends wichtiger werden, gerade die Weiterbildungsbeteiligung von Geringerqualifizierten weiter zu erhöhen, damit sich die vielfach befürchtete zunehmende Kluft zwischen Digitalisierungsgewinnern und -verlierern nicht zu weit öffnet.
Zum Weiterlesen:
Arnold, D., S. Butschek, S. Steffes, D. Müller (2017): Digitalisierung am Arbeitsplatz: Bericht. Nürnberg. (Forschungsbericht 468 des Bundesministeriums Arbeit und Soziales).
BIBB/IAB (2015): Industrie 4.0 und die Folgen für Arbeitsmarkt und Wirtschaft. Szenario-Rechnungen im Rahmen der BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen. Autoren: M.I. Wolter, A. Mönnig, M. Hummel, C. Schneemann, E. Weber, G. Zika, R. Helmrich, T. Maier, C. Neuber-Pohl. Nürnberg: IAB
Brandt, C. (Hg. (2010): Endbericht des Projektes „OnFormA“ – Online Forum mobile Arbeit – Berlin, ver.di Bundesverwaltung
Brandt, C., Brandl, K.-H. (2008): Von der Telearbeit zur mobilen Arbeit … , in: Computer und Arbeit 3/2008: 15–20.
DGB (2016): DGB-Index Gute Arbeit: Der Report 2016. Themenschwerpunkt: Die Digitalisierung der Arbeitswelt – Eine Zwischenbilanz aus der Sicht der Beschäftigten. Berlin.
Maier, M.F. & S. Viete (2017): Plattformbasierte Erwerbsarbeit: Stand der empirischen Forschung. Unter Mitarbeit von M. Ody (IZA). Mannheim: ZEW (BMAS-Forschungsbericht 498)
Schmidt, F. (2016). Arbeitsmärkte in der Plattformökonomie – Zur Funktionsweise und den Herausforderungen von Crowdwork und Gigwork. Bonn: FES
Schütz, H. (2017): Koordinaten der Arbeit im Land Bremen. Befragung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 2017. Eine Studie von infas im Auftrag der Arbeitnehmerkammer Bremen. Bremen/Bonn
Schütz, H. & Harand, J. (2017): Bericht Quality of work Luxembourg 2017, Bonn: infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft.
Vermächtnisstudie von ZEIT, WZB und infas, Welle IV, 2018/2019, 2.070 Befragte
Vogler-Ludwig, K. (2017). Beschäftigungseffekte der Digitalisierung – eine Klarstellung, in: Wirtschaftsdienst: S. 861–870
Foto: Alex Kotliarskyi