Ein neuer Mode steht zur Wahl.
Die Wahl der passenden Befragungsmethode stellt sich häufig nicht nur Forschern beim Design einer Studie, sondern auch den Befragten selbst. Im Methodenmix können Zielpersonen inzwischen oft selbst entscheiden, in welcher Form sie an wissenschaftlichen Erhebungen teilnehmen. Die Entscheidung für eine bestimmte Befragungsmethode hängt dabei von verschiedenen Merkmalen ab, wie beispielsweise dem Alter und Geschlecht, aber auch der Herkunft der Zielpersonen (Malina et al., 2023). Ergänzend zu den bereits etablierten Befragungsmethoden hat infas nun einen neuen Befragungsmode eingeführt, bei dem Zielpersonen per Videointerview befragt werden können.
Videotelefonate und -konferenzen haben sich spätestens seit Corona als digitale Kommunikationsform im beruflichen und privaten Alltag etabliert. Auch in der empirischen Sozialforschung blieb diese Entwicklung nicht unbeachtet und Befragungen per Video erweisen sich als gute Alternative zu den klassischen interviewer- oder fremdadministrierten Erhebungsmethoden. Die Befragung per Videointerview, auch als CALVI (Computer-Assisted Live Videointerview) oder CAVI (Computer-Assisted Videointerview) abgekürzt, wurde bereits unmittelbar nach den ersten Lockdownmaßnahmen im Jahr 2020 im Vereinigten Königreich und in Australien großflächig eingesetzt, um trotz Kontaktbeschränkungen persönliche Befragungen virtuell durchzuführen. In den vergangenen Jahren kam CALVI immer häufiger in sozialwissenschaftlichen Studien zum Einsatz, allerdings weiterhin eher im englischsprachigen Raum (Durrant et al., 2024). In Deutschland wurden Videointerviews bislang nicht in größeren, sozialwissenschaftlichen Erhebungen eingesetzt, auch wegen der technischen Anforderungen, für die infas nun Lösungen entwickelt hat.
Welche Vorteile bieten Videointerviews?
Videointerviews sind als eine Mischform der klassischen Erhebungsformen der persönlich-mündlichen und der telefonischen Befragung zu betrachten. Im Gegensatz zur persönlichen Befragung vor Ort findet die Befragung in einem virtuellen Raum statt, anders als in der Telefonbefragung können sich Interviewer und Zielperson dabei jedoch sehen. Dadurch entsteht ein persönlicherer Kontakt und durch Funktionen wie die Bildschirmübertragung können auch komplexere Fragestellungen möglichst einfach an die Zielperson vermittelt werden. Gerade online-affine Zielgruppen haben mit Videointerviews die Möglichkeit, aufwendige Erhebungen mit technischen Besonderheiten durch einen Interviewer angeleitet, aber dennoch online durchzuführen. Das ermöglicht Zielpersonen und Interviewern ein hohes Maß an zeitlicher und räumlicher Flexibilität.
Für die Durchführung von Videointerviews setzt infas auf ein eigenes Videokonferenzsystem, das auf der DSGVO-konformen Software OpenTalk basiert. Da das System von infas auf eigenen Servern betrieben wird, können Videointerviews sicher und ohne Zugriff von Dritten durchgeführt werden. OpenTalk erhielt kürzlich als erster Diensteanbieter für Videokonferenzdienste das IT-Sicherheitskennzeichen des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik.
Die Benutzeroberfläche ist zudem in einem eigenen infas-Branding gestaltet, weshalb wir gegenüber Zielpersonen auch vom infas-Videokonferenzsystem sprechen. Dies hat den Vorteil, dass Zielpersonen nicht aufgrund einer Präferenz oder Abneigung gegenüber einem anderen, bekannteren System nicht an der Befragung teilnehmen. Sollte ein Anbieter einer Videokonferenzsoftware in einen Datenschutzskandal mit medialer Aufmerksamkeit geraten, wird die Durchführung unserer Studie durch diesen Vorfall nicht gefährdet, wenngleich derartige Berichterstattungen insgesamt einen negativen Einfluss haben können. Zielpersonen können beim infas-System über alle gängigen Webbrowser und Endgeräte an einem Videointerview teilnehmen, ohne dass weitere Apps installiert oder ein Benutzerkonto erstellt werden müssen.
Wer führt die Videointerviews durch?
Videointerviews können von unseren Face-to-Face- und unseren Telefoninterviewern durchgeführt werden. Dieses System wurde über API an die übrigen für die Befragung notwendigen Systeme in beide Felder angebunden, damit die Bedienung auch für die Interviewer möglichst einfach ist. Dabei mussten die Logiken der beiden Felder entsprechend berücksichtigt werden. So erfolgt im Face-to-Face-Feld immer eine Zuordnung eines Falls zu einem Interviewer, der diesen dann bearbeitet. Im telefonischen Feld hingegen erfolgt die Zuordnung eines Falls erst im Erhebungsprozess selbst.
Wie immer können die Interviewer die Zielpersonen kontaktieren, um einen Termin für das Interview zu vereinbaren, in diesem Fall eben ein Videointerview. Im Rahmen der Kontaktierung nimmt der Interviewer dann eine E-Mail-Adresse der Zielperson auf, an welche dann die Einladung zum entsprechenden Videointerviewtermin geschickt wird. Die Einladungs-E-Mail enthält alle wesentlichen Informationen zum Termin: einen Kalendereintrag sowie den personalisierten Link zum Videointerview. Im Face-to-Face-Feld führt dann der Interviewer auch das Videointerview, der auch den Termin vereinbart hat. Dem gegenüber führt im telefonischen Feld dann ein Interviewer das Videointerview, der zum Zeitpunkt des Termins dann entsprechend zur Verfügung steht und für die Studie qualifiziert ist. Damit bleiben die grundsätzlichen Logiken der beiden Felder auch im Kontext der Videointerviews erhalten.
Im Telefon-Feld können Zielpersonen ihren Termin für ein Videointerview auch selbst online buchen. Dazu wurde im Rahmen der Einführung der Videointerviews auch das infas-Terminbuchungssystem entwickelt. Dabei haben wir uns an bekannten Buchungssystemen orientiert, die Zielpersonen vermutlich auch von der Reservierung eines Tisches in einem Restaurant oder zur Buchung eines Termins bei einem Arzt bereits kennen.
Die in der Terminbuchung verfügbaren Termine werden so verwaltet, dass sichergestellt ist, dass jeder verfügbare Termin auch von einem Interviewer bedient werden kann. Der Mode der Befragung im Telefonstudio – also CATI oder CALVI/CAVI – spielt hierbei allerdings keine Rolle. Für jeden Mode können Termine online gebucht werden. Hierdurch können Zielpersonen einfacher und flexibler einen Termin auswählen. Außerdem können bereits gebuchte Termine über das System auch durch die Zielperson selbst verschoben oder abgesagt werden. Dies ist möglich, da die Zielpersonen mit dem Anschreiben einen individualisierten Zugang zum Terminbuchungssystem erhalten.
Im Kontext von Videointerviews wurde das System auch über eine API mit dem infas-Videokonferenzsystem verknüpft, sodass bei der Buchung eines Termins auch eine Videokonferenz angelegt wird und die Zielperson direkt nach der Buchung eine E-Mail an die im Rahmen des Buchungsprozesses angegebene E-Mail-Adresse erhält, die dann alle notwendigen Informationen enthält, wie oben bereits beschrieben. Die Einführung des neuen Modes erfolgte in enger Kooperation mit dem Sozioökonomischen Panel (SOEP) und dem Nationalen Bildungspanel (NEPS). Das SOEP erforscht CALVI im Mixed-Mode-Design innerhalb des DFG-geförderten Infrastrukturprogramms „New Data Spaces for the Social Sciences“. Im Herbst 2024 wird infas die ersten beiden CALVI-Erhebungen im Rahmen des SOEP und des NEPS beginnen.
Zum Weiterlesen
Durrant, G., et al. (2024): Live Video Interviewing: Evidence of Opportunities and Challenges Across Seven Major UK Social Surveys.
Malina, A., Link, S. & Ruland, M. (2023): Wahl nach Herkunft – Wer bevorzugt welchen Erhebungsweg? Erkenntnisse des NaDiRa.Panels. Lagemaß Nr. 13, 2023
Videointerviews im Rahmen des Sozioökonomischen Panels auf der Homepage des DIWs: https://www.diw.de/soep-is/calvi
Dieser Beitrag wurde zuerst in Lagemaß 14 „wählen“ veröffentlicht.