Wer an Meditation und Achtsamkeit denkt, dem kommen womöglich Bilder von Räucherstäbchen und Buddha-Statuen in den Sinn. Zwar liegen die Ursprünge von Achtsamkeit (engl.: mindfulness) und Meditation tatsächlich im Buddhismus, allerdings hat Achtsamkeit längst Einzug in den Westen gehalten. Auch Wirtschaft und Wissenschaft haben damit verbundene Vorteile erkannt.
Dabei ist die Definition von Achtsamkeit nicht trivial, gerade auch weil sie in dem Zusammenhang eine Übersetzung aus dem Englischen darstellt. Sie kann als absichtsvolle Lenkung der Aufmerksamkeit auf Empfindungen des aktuellen Momentes beschrieben werden. Gegenwärtige Gedanken, Emotionen und Eindrücke werden möglichst offen und nicht bewertend, sondern wohlwollend zur Kenntnis genommen. Darüber hinaus kann Achtsamkeit aber auch als dispositionelle Persönlichkeitseigenschaft gesehen werden, die gemessen werden kann.
Was sagt die Wissenschaft?
Metaanalysen haben nachgewiesen, dass Achtsamkeitsmediation mit einer Vielzahl an erwünschten, psychologischen Effekten einhergeht. Dazu zählen eine gesteigerte Konzentrations- bzw. Aufmerksamkeitsfähigkeit, ein verringertes Stresserleben sowie ein höheres Wohlbefinden. Ferner wurde in randomisierten kontrollierten Studien (RCT) gezeigt, dass meditationsbasierte Achtsamkeitsprogramme die Stressreaktivität senken und sich positiv auf die kognitiven Fähigkeiten und das Kurzzeitgedächtnis bei Heranwachsenden auswirken können. Achtsamkeitsmeditation aktiviert jene Hirnareale, die mit Selbstregulation und Problemlösung assoziiert werden. Mit Blick auf die Erwerbstätigkeit interessant ist eine RCT, die zeigt, dass Achtsamkeitstraining mit einem erhöhten Fokus sowie einer höheren Produktivität bei der Arbeit einhergeht.
Achtsamkeit in der Mehrthemenbefragung
All dies war Grund genug, dass infas selbst in die Erforschung von Achtsamkeit investiert hat. In die hauseigene Mehrthemenbefragung, bei der die Lebenssituation der deutschen Bevölkerung anhand verschiedener Gesichtspunkte und Faktoren untersucht wird, wurden vier Items integriert, die das Achtsamkeitskonstrukt messen. Als Grundlage diente die deutsche Version des „Mindful Attention and Awareness Scale“ (MAAS; Michalak et al. 2008), welche aufgrund ihrer Verfügbarkeit sowie ihrer Reliabilität (Alpha = 0,83; n = 469) gewählt wurde. Die Aussagen des Fragebogens sind negativ formuliert, wobei die Befragungspersonen angeben müssen, wie oft das Beschriebene erlebt bzw. getan wird (1 = „fast immer” bis 6 = „fast nie”). Aus ökonomischen Gesichtspunkten fand eine Beschränkung auf die vier Items statt, die die höchsten korrigierten Trennschärfekoeffizienten (KT > 0,60) aufwiesen. Letztendlich wurde auf Basis jener vier Items ein neuer Mittelwertindex gebildet, der Achtsamkeit als dispositionelle Persönlichkeitseigenschaft aggregiert gemessen hat und verdichtet darstellt.
Insgesamt sind im Mai 2023 in der Mehrthemenbefragung 981 Personen befragt worden. Um den Zusammenhang zwischen Achtsamkeit und den anderen Themenkomplexen der Mehrthemenbefragung zu beleuchten, wurden verschiedene lineare Regressionsmodelle definiert. Dabei wurden u. a. Kontrollvariablen wie Geschlecht, Alter, Bildungsstand, Erwerbsstatus, Migrationshintergrund, Haushaltsgröße, das Bundesland und das Haushaltsnettoeinkommen der Befragungspersonen berücksichtigt. Ein Regressionsmodell (R² = 0,10, p < 0,001, n = 938) gab Aufschluss darüber, inwiefern Achtsamkeit als unabhängige Variable einen Einfluss auf die Wahrnehmung der persönlichen Zukunft hat. Tatsächlich konnte gezeigt werden, dass eine erhöhte Achtsamkeit mit vermindertem Pessimismus einhergeht (b = -0,09, p < 0,005). Positiv ausgedrückt: Je achtsamer, desto optimistischer wird die persönliche Zukunft allgemein gesehen.
Dass Achtsamkeit nicht nur einen Einfluss auf die Einschätzung der persönlichen Zukunft, sondern auch auf die Beurteilung der persönlichen aktuellen wirtschaftlichen Lage hat, konnte ein weiteres Modell zeigen (R² = 0,14, p < 0,001, n = 945), in das Achtsamkeit als unabhängige Variable integriert wurde. Demnach ist eine erhöhte Achtsamkeit mit einer weniger negativen Bewertung der persönlichen aktuellen wirtschaftlichen Lage assoziiert (b = -0,06, p < 0,005). Konkret: Je achtsamer, desto positiver wird die eigene aktuelle ökonomische Situation bewertet.
In einer weiteren Regressionsanalyse (R² = 0,16, p < 0,001, n = 891) wurde untersucht, wie Achtsamkeit selbst als abhängige Variable durch andere unabhängige Variablen erklärt werden kann. Neben den oben beschriebenen Kontrollvariablen wurden weitere Prädiktoren wie zum Beispiel die „Oben-Unten”-Einordnung in der Gesellschaft, die politische Rechts-Links-Selbsteinstufung, die Risikobereitschaft in der Coronapandemie sowie das monetäre Investitionsverhalten mit in das Modell aufgenommen. Letzteres war von besonders hohem Interesse. Der hier diagnostizierte negative Zusammenhang zwischen dem Bedürfnis, Geld für Kleidung auszugeben, und der Achtsamkeit war besonders stark ausgeprägt (b = -0,27, p < 0,05). Daraus lässt sich schlussfolgern: Je stärker der Konsumwunsch für Kleidung, desto niedriger die Achtsamkeit. Da einer Regression eine Korrelation – also eine wechselseitige Beziehung – zugrunde liegt, kann auch die Aussage folgen: Je achtsamer Individuen sind, desto geringer der Wunsch, neue Kleidung zu kaufen. Bei der Neigung, lieber persönlich in Kunst und Kultur zu investieren, beispielsweise in Form von Konzert-, Museums- oder Theaterbesuchen, wird der oben beschriebene Zusammenhang positiv. Je stärker die Neigung, lieber persönlich in Kunst und Kultur zu investieren, desto höher die Achtsamkeit.
Um weitere Aussagen und bessere Vergleiche anstellen zu können, wurden die Befragungspersonen post hoc in zwei Gruppen eingeteilt: „Achtsame“ (n = 736) und „Unachtsame“ (n = 245). Als Kriterium wurde der Mittelwertindex, also der Durchschnittswert aller vier Achtsamkeits-Items herangezogen. Befragungsteilnehmende, die einen durchschnittlichen Achtsamkeitswert von maximal 3,5 aufwiesen, wurden als „unachtsam“ deklariert. „Achtsam“ sind analog dazu diejenigen, die einen Durchschnittswert von über 3,5 zeigten.
Die Grafiken zeigen, dass die Gruppe der Achtsamen zufriedener mit ihrem Lebensstandard ist. Sie ordnen sich außerdem gesellschaftlich eher oben ein und beurteilen die eigene wirtschaftliche Lage besser. Außerdem sind sie optimistischer mit Blick auf die persönliche Zukunft. Diese Gruppenvergleiche sind somit im Einklang mit den Ergebnissen der obigen Regressionsmodelle. Interessant bei den Vergleichen ist jedoch, dass sich Unachtsame besser durch die Politik vertreten fühlen als diejenigen, die höhere Achtsamkeitswerte aufweisen.
Insgesamt geht Achtsamkeit schließlich mit positiveren Einschätzungen verschiedener Lebensbereiche einher – und zwar auf die aktuelle wie auch die künftige Lage bezogen. Damit decken sich die Ergebnisse unserer Mehrthemenbefragung mit denen der Wissenschaft. Achtsamkeit „lohnt“ sich also scheinbar.
Achtsamkeit bei Individuen
Individuen können in ihre Achtsamkeit investieren, indem sie regelmäßig entsprechende Übungen, auch Achtsamkeitsinterventionen genannt, praktizieren. Diese können formeller oder informeller Natur sein. Formelles Praktizieren setzt voraus, dass eine spezifische Zeit zum Trainieren der Achtsamkeit eingeplant wird, wie zum Beispiel eine geplante Sitzmeditation oder Atemübung. Informelle Achtsamkeitspraktiken nennt man die besondere Lenkung der Aufmerksamkeit auf alltägliche Prozesse, durch die Achtsamkeit in die Alltagsroutine eingebunden wird, wie zum Beispiel achtsames Spazierengehen oder betont bewusstes Essen.
Trotz der zahlreichen positiven Effekte dieser achtsamkeitsbasierten Trainings fällt vielen Menschen die langfristige Implementierung schwer. Hier helfen Meditationsapps wie „Calm“ oder „Headspace“. In den vergangenen Jahren ist der Markt von Meditationsapps auf ein Marktvolumen von 522 Millionen US-Dollar (2022) gestiegen. Bis 2031 sollen sie sich laut dem indischen Beratungsunternehmen „Insight Ace Analytic“ vervierfachen.
Auch Unternehmen haben den Stellenwert von Achtsamkeit bereits erkannt und globale Konzerne wie Google oder SAP beschäftigen seit einiger Zeit einen CMO, einen „Chief Mindfulness Officer“. Als schnelle Lösung für Probleme in der Unternehmenskultur eignet sich das Thema Achtsamkeit jedoch nicht. Um Achtsamkeit effizient einzusetzen, ist die Implementierung auf verschiedenen Ebenen erforderlich. Nicht nur Mitarbeitende sollten Achtsamkeit in ihre Arbeit integrieren, auch Führungskräfte können Achtsamkeit in den eigenen Führungsstil einbauen, sodass insgesamt ein positives Miteinander im Unternehmen gefördert wird. Ausgearbeitete Konzepte zu achtsamer (Unternehmens-)Führung gibt es bereits (vgl. z. B. Amberg 2016; Schnetzler 2014). Ebenfalls essenziell ist, dass Achtsamkeitsprogramme vorsichtig geplant und nur von Experten durchgeführt werden (vgl. Roche et al. 2020: 7).
Ein renommiertes Programm ist das Firmenbasierte Achtsamkeitsprogramm (engl.: corporate based mindfulness program, kurz CBMT), welches vom Potential Project für die besonderen Anforderungen der Arbeitswelt entwickelt wurde. Branchendominierende Unternehmen wie Google setzen bereits auf derartige Programme, um Führungskräfte, Manager und Angestellte in Achtsamkeit auszubilden – besonders, wenn diese vorher noch nie mit diesem Thema in Berührung gekommen sind. Das firmenbasierte Achtsamkeitsprogramm zeichnet sich durch unternehmensinterne, tägliche meditative Gruppentrainings aus, neben denen besonders die Implementierung von Achtsamkeit in die eigene alltägliche Arbeit im Fokus steht. In diesen Trainings lernen Mitarbeitende, Achtsamkeit in ihren spezifischen Arbeitsbereichen anzuwenden, wie zum Beispiel in Meetings, Präsentationen oder beim Zeitmanagement. Ziel ist es, achtsame Denkmuster aufzubauen, welche Akzeptanz, Mitgefühl und Neutralität am Arbeitsplatz fördern (vgl. Webb; Lee-Bates 2015: 2).
Studien in Bezug auf die Effektivität von CBMT zeigen auf, dass auch kurze Achtsamkeits-Trainingseinheiten langfristig positive Effekte für Mitarbeiter und damit das gesamte Unternehmen bewirken. Die Investition in solche Programme lohnt sich besonders, da diese recht kostengünstig umsetzbar sind (vgl. Webb; Lee-Bates 2015: 10). Eine Studie in Taiwan zeigte auf, dass firmeninterne Meditationen eigenständiges Lernen, innovatives Denken und die allgemeine Performance der Mitarbeiter förderte (vgl. Ho 2011).
Besonders in Unternehmen, deren Tagesgeschäft zahlreiche Deadlines aufweist, kann Achtsamkeit den Mitarbeitenden helfen, Stress zu reduzieren und ihr Zeitmanagement zu verbessern. Vor allem in der Kommunikation mit außenstehenden Parteien wie Kunden oder den Interviewern könnten die durch Achtsamkeit entwickelten Denkmuster wie Mitgefühl, Akzeptanz, Neutralität und vermehrter Optimismus Mitarbeitenden Instrumente an die Hand geben, diese teils konfliktreichen Situationen souverän zu meistern und gelassen zu bleiben.
Fazit
In den letzten Jahren sind Achtsamkeit und Meditation zum Trend geworden. Immer mehr Menschen implementieren achtsamkeitsbasierte Trainings oder Meditation in ihren Alltag, um mit den wachsenden alltäglichen Anforderungen und vor allem denen der Berufswelt fertig zu werden. Auch der Markt für Meditationsapps wird voraussichtlich in den nächsten Jahren enorm wachsen (Insight Ace Analytic 2023). Dieser Artikel zeigt auf, wieso sich die Investition für Individuen und Unternehmen lohnt.
Allerdings müssen die Ergebnisse und die beschriebenen Effekte kritisch eingeordnet werden. Zunächst einmal liegt für den Achtsamkeitsbegriff keine einheitliche Definition vor. Das bedeutet, dass die zitierten und präsentierten Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen sind, da auch die zugrundeliegenden Messverfahren keine einheitlichen Definitionen von Achtsamkeit verwendet haben. Diesbezüglich lassen sich also keine allgemeingültigen Aussagen machen und nur bedingt Kausalzusammenhänge festlegen. Außerdem muss betont werden, dass es nicht die eine Achtsamkeitsmeditation bzw. das eine Achtsamkeitstraining gibt. Verschiedene Meditationsformen und Trainings weisen unterschiedliche Effekte auf. Dennoch: Zahlreiche Studien wie auch unsere Mehrthemenbefragung deuten darauf hin, dass Achtsamkeitstrainings eine gute Investition auf verschiedenen Ebenen darstellen und sich allemal lohnen.
Individuen profitieren einerseits von regelmäßigen Meditationen und Achtsamkeitstrainings durch eine grundsätzlich verbesserte psychische und physische Gesundheit. Auf der anderen Seite können Unternehmen in das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter, mehr Produktivität und Innovation investieren, indem sie Achtsamkeitstrainings wie das Firmenbasierte Achtsamkeitsprogramm (CBMT) anbieten.
Fachkräftemangel, Digitalisierung, demografischer Wandel und damit einhergehende steigende Arbeitsbelastungen stellen alle vor neue Herausforderungen. Achtsamkeitsbasierte Übungen und Meditationen bieten Praktiken, welche Individuen und Unternehmen nutzen können, um für diese Herausforderungen künftig besser gewappnet zu sein und ihnen noch achtsamer zu begegnen.
Dieser Beitrag wurde zuerst in Lagemaß 13 „investieren“ veröffentlicht.
Zum Weiterlesen:
ABirtwell, Kelly/Kate Williams/Harm van Marwijk/ Christopher J Armitage/David Sheffield (2019): An Exploration of Formal and Informal Mindfulness Practice and Associations with Wellbeing, in: Mindfulness, Bd.10, Nr.1 S. 89–99. doi: 10.1007/s12671-018-0951-y
Michalak, Johannes/Thomas Heidenreich/Gunnar Ströhle/Christoph Nachtigall (2008): Die deutsche Version der Mindful Attention and Awareness Scale (MAAS). Psychometrische Befunde zu einem Achtsamkeitsfragebogen, in: Zeitschrift für klinische Psychologie und Psychotherapie, Bd.37, Nr.3, S. 200-208. doi: 10.1026/1616-3443.37.3.200
Sedlmeier Peter/Juliane Eberth/Marcus Schwarz/Doreen Zimmermann/Frederik Haarig/Sonia Jaeger/Sonja Kunze (2012): The psychological effects of meditation: a meta-analysis, in: Psychological Bulletin, Bd.138 Nr.6, S. 1139-1171. doi: 10.1037/a0028168
Slutsky, Jeremiah/Brian Chin/Juliana Raye/John David Creswell (2019): Mindfulness training improves employee well-being: A randomized controlled trial, in: Journal of Occupational Health Psychology, Bd.24, Nr.1, S. 139–149. doi: 10.1037/ocp0000132
Webb, P. J./B. Lee-Bates (2015): „Effects of mindfulness training on workplace per-formance.” In: Proceedings of the 11th Industrial and Organisational Psychology Conference