Bereits in einem vorherigen Blogbeitrag haben wir einen Blick auf die Zahlen rund um die Mobilitätswende geworfen. Dieser beschränkte sich auf einige zentrale Ergebnisse der Studie „Mobilität in Deutschland“ 2017. Inzwischen haben wir auch die früheren Erhebungen dieser von infas im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur durchgeführten Studie vergleichbar ausgewertet.
Die resultierende Zeitreihe berücksichtigt aufgrund der Zensuskorrektur des Bundes entstandene, neue Hochrechnungsergebnisse für die Jahre 2002 und 2008. Sie erlaubt damit Analysen über einen Zeitraum von knapp 20 Jahren. Zusätzlich erweitern wir die Perspektive um einige ganz aktuelle Kennwerte bezogen auf das Jahr 2019.
48 Mio. Pkw in Deutschland – diese Marke werden wir im Verlauf des Jahres 2020 voraussichtlich erreichen. Zwei Jahrzehnte zuvor, im Jahr 2000, stoppte der Zähler bei rund 35 Mio. Automobilen. Mit dem danach erfolgten Anstieg in Richtung der 50-Millionen-Marke lassen sich in Deutschland bereits seit einigen Jahren mehr Autos als Haushalte verzeichnen. Zwar ist auch deren Zahl auf mittlerweile gut 40 Mio. gestiegen, doch fallen die Zuwächse der Pkw-Zahlen weitaus größer aus. Aktuell liegt das Verhältnis zwischen beiden Kennziffern bei knapp 1,2 Pkw pro Haushalt. Im Jahr 2000 betrug es hingegen lediglich 0,9. Und schon damals bestand die Hoffnung, dass sich dieser Wert nicht wesentlich vergrößert oder zumindest nicht über einen Wert von 1,0 hinausgeht.
Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt. Jahr für Jahr wächst die deutsche Autoflotte ungebremst weiter. Allein im Jahr 2019 lag der Zuwachs schätzungsweise bei rund 0,6 Mio. Er ist damit absolut gesehen sogar geringfügig höher als im Schnitt der Vorjahre. Selbst 2019 ist nach dem Dieselskandal und der ausgeprägten Debatte in Sachen Feinstaub und Klimaschutz noch nicht einmal eine kleine Trendwende erkennbar. Dazu passt, dass die regelmäßig aus der Branche des öffentlichen Verkehrs berichteten jährlichen Fahrgastzuwächse 2019 vermutlich geringer ausfallen als in den Vorjahren. Im Teilsegment des überwiegend innerstädtischen Nahverkehrs werden sie bundesweit gesehen voraussichtlich sogar leicht rückläufig sein. Dies ergibt sich vor dem Hintergrund einer leicht wachsenden Bevölkerungszahl. In Deutschland leben inzwischen über 83 Mio. Menschen. Diese Entwicklung geht einher mit besonderen Zuwächsen in den Metropolregionen – die aufgrund der Angebotssituation sogar bessere Voraussetzungen für den öffentlichen Verkehr bieten und somit eher eine steigende als eine stagnierende Nachfrage nach Bus und Bahn erwarten ließen.
Immer mehr Autos in Deutschland
Unter dem Strich ergibt sich bezüglich der vielbeschworenen Verkehrswende eine eher ernüchternde Bilanz. Selbst wenn Unsicherheiten in den berichteten Zahlen unterstellt und endgültige Angaben für 2019 erst mit ein wenig Zeitverzug verfügbar sein werden, besteht eine beträchtliche Umsetzungslücke. Noch gewinnt das Auto und baut seinen Vorsprung sogar aus – zumindest gemessen an seiner Flottengröße – und der öffentliche Verkehr kann hinsichtlich seiner Fahrgastzahlen noch nicht von der breit geführten Debatte profitieren. Soweit eine kleine Bestandsaufnahme anhand weniger bis in das Jahr 2019 verlängerter Indikatoren, um ganz aktuellen und nicht allein zurückliegenden Effekten auf die Spur zu kommen.
Doch wie steht es um die Wende im Verkehrssektor bei einem Blick auf die langen Reihen? Und wie sieht es bei einer Differenzierung nach weiteren Kennwerten oder gar verschiedenen Bevölkerungsgruppen aus?
Hier sind die oben bemühten Quellen der amtlichen Statistik verständlicherweise oft überfordert. Gefragt sind ergänzende Erhebungen. Im Mobilitätsbereich ist infas zusammen mit weiteren Partnern für die größte dort erfolgende Erhebung verantwortlich. Die Studie „Mobilität in Deutschland“, kurz MiD, liefert für 2002, 2008 und 2017 umfassende Resultate. Seit Herbst 2019 liegt dazu sogar eine konsolidierte Zeitreihe vor, deren Hochrechnungen die ab 2011 rückwirkend erfolgte offizielle sogenannte Zensuskorrektur der Bevölkerungsgröße berücksichtigt, also eine direkte und „fußnotenfreie“ Vergleichbarkeit herstellt.
Wenig passiert
Ein zentraler Indikator für die Entwicklung der Mobilität ist der sogenannte Modal Split. Er stellt für alle von den Bürgerinnen und Bürgern zurückgelegten Wege die Verteilung der Verkehrsmittel dar. Dies erfolgt in der Regel bezogen auf die Anteilswerte anhand von Prozentangaben. In der MiD werden zusätzlich hochgerechnete Ergebnisse auf dieser „Wege-Ebene“, aber auch für die auf diesen Wegen zurückgelegten „Personenkilometer“ berichtet. Erst damit werden die Ergebnisse wirklich vollständig und es ergibt sich eine breite Grundlage zur Abbildung der gemessenen Entwicklungen.
Aus der Perspektive einer gewünschten Verkehrswende ist das Ergebnis auch hier ernüchternd. Die Anteilswerte für die zentralen Verkehrsträger Auto (einschließlich Motorräder und Lkws), den öffentlichen Verkehr und das Fahrrad verändern sich im Zeitverlauf seit 2002 kaum. Das Auto behauptet hartnäckig einen Anteil von rund 60 Prozent. Der öffentliche Verkehr verzeichnet etwa 10 Prozent, ebenso wie das Fahrrad. Der reine Fußverkehr verändert sich ebenfalls nur wenig und liegt bei gut 20 Prozent aller Wege.
Ein wenig dynamischer wird es, wenn anstatt dieses „Verkehrsaufkommens“ der Wege die damit verbundene „Verkehrsleistung“ anhand der Personenkilometer betrachtet wird – insbesondere in Form der hochgerechneten Ergebnisse. Hier zeigt sich, dass diese Verkehrsleistung seit 2002 deutlich zugenommen hat. Die Summe der pro Tag zurückgelegten Personenkilometer ist von 2,7 Mrd. im Jahr 2002 auf 3,2 Mrd. im Jahr 2017 gewachsen, also eine Zunahme um knapp 20 Prozent. Der Autoverkehr hat geringere Wachstumsraten vorzuweisen, steht aber absolut gesehen nach wie vor mit großem Abstand an erster Stelle. Von den täglichen 3,2 Mrd. Kilometern werden 2017 2,4 Mrd. im Auto absolviert. Hintergrund für das etwas höhere Kilometer-Plus bei Rad, Bus und Bahn sind Verschiebungen der Bevölkerungsstruktur zugunsten der Metropolen und eine höhere Beschäftigungsrate. Beides kommt vor allem dem öffentlichen Verkehr zugute. Hinzu gesellt sich ein gewisser Rückenwind für das Fahrrad, sei es durch die steigende Zahl der Elektroräder oder mehr Aufmerksamkeit für dieses Verkehrsmittel.
Was wäre wenn?
Eine Wende lassen diese Zahlen trotzdem kaum erkennen. Die Zugewinne auf Kilometer-Ebene für die mit dem Auto konkurrierenden Verkehrsmittel sind absolut gesehen klein. Selbst bei einer deutlichen Steigerung werden sie die Dominanz des Autos auf absehbare Zeit kaum brechen können. Dabei stellt der öffentliche Verkehr den wesentlich größeren Hebel dar als der Rad- und Fußverkehr, die mit geringen Kilometer-Anteilen gleichauf liegen. Doch vielleicht ist der Erfolg an anderer Stelle zu suchen, wenn auch spekulativ. Der Blick noch vor das Jahr 2002 zeigt, dass die Auto-Anteile in den Jahrzehnten vor der Jahrtausendwende stetig gewachsen sind und danach zumindest stagnieren. Es ist also gar nicht so unberechtigt zu vermuten, dass die umweltpolitische Debatte zumindest einen weiter überproportionalen Anstieg der Auto-Verkehrsleistung verhindert oder mindestens gemildert hat.
Wie sehr der bundesdeutsche Verkehr trotzdem von den selbst erklärten Zielen entfernt ist und was hinter dieser Lücke steckt, wird mit einer weiteren Auswertung gut erkennbar. Die MiD-Daten ermöglichen auch die Berechnung von verkehrsbezogenen CO2-Fußabdrücken und damit den Fokus auf diese und weitere Emissionswerte. Sie können anhand der individuellen Erhebungsdaten differenziert pro Person oder Personengruppe berechnet werden. Das Ergebnis hängt vom genutzten Verkehrsmittel, dessen Auslastung und im Fall der Autonutzung von dessen fahrzeugspezifischen Emissionswerten ab. Hierzu stellt das Umweltbundesamt entsprechende Faktoren bereit.
Das ursprüngliche Ziel der Bundesregierung war eine CO2-Emissionsreduzierung von 40 Prozent gegenüber dem Ausgangswert von 1997 bis 2020. Für die MiD-Zeitreihe ergibt sich daraus überschlägig ein Reduktionsziel von 30 Prozent seit dem Jahr 2002. Eine Simulation anhand der Wege-Modal-Split-Werte zeigt, dass der Auto-Anteil an allen Wegen aktuell nicht bei knapp 60 Prozent, sondern eher bei einem Drittel liegen müsste. Der Fahrradanteil sollte bei rund 20 statt bei 10 Prozent liegen. Der öffentliche Verkehr müsste einen Anteil von einem Viertel statt ebenfalls nur rund 10 Prozent auf sich vereinen. Und der Fußverkehr sollte zumindest stabil bleiben und nicht weiter verlieren.
Unsere durch diesen Text laufende kleine Grafik veranschaulicht diese Lücken am Beispiel des Pkw-Verkehrs. So wird greifbar, welcher Weg vor uns liegt, soll dieses Ziel erreicht werden. Dies ist selbst dann extrem ambitioniert, wenn die zeitliche Zielmarke – wie inzwischen geschehen – vom Jahr 2020 auf das Jahr 2030 verschoben wird. Grob betrachtet bedeutet dies nichts weniger als eine Halbierung des Autoverkehrs. Gleichzeitig wäre mehr als eine Verdoppelung der Verkehre mit dem Fahrrad und dem öffentlichen Verkehr innerhalb der nächsten zehn Jahre erforderlich. Aus Emissionssicht weniger ehrgeizig wird dies erst, wenn die Energieeffizienz des Autoverkehrs erheblich schneller als bisher verbessert und damit die Aufgabe für die anderen Verkehrsträger kleiner wird. Dem steht aber realistisch betrachtet nicht zuletzt die gegenwärtig schon zugelassene Autoflotte im Weg. Dazu sei nur darauf hingewiesen, dass das durchschnittliche Flottenalter bei rund zehn Jahren liegt. Viele der rund 48 Mio. heute auf unseren Straßen kreuzenden Autos werden dies wohl noch eine Reihe von Jahren tun. Daran werden Bemühungen wie etwa das Carsharing mit seiner aktuellen Flottengröße von etwa 20.000 Fahrzeugen auch bei weiterem Wachstum kaum etwas ändern.
An wem liegt es?
Das Ziel der Bundesregierung ist also mehr als ehrgeizig. Entsprechend müssten die Maßnahmen und damit verbundene Verhaltensänderungen ausfallen. Auch dabei hilft der Blick auf die CO2-Bilanz. Mithilfe der MiD-Daten können nicht nur Gesamtwerte hochgerechnet, sondern auch individuelle Muster ermittelt werden. Eines der aufschlussreichsten Ergebnisse ist dabei die Differenzierung nach der Wohlstandssituation der Befragten. Dazu kann der in der Auswertung anhand des Pro-Kopf-Haushaltseinkommens gebildete ökonomische Haushaltsstatus herangezogen und differenziert nach diesen Kategorien der Verkehrs-CO2-Fußabdruck ermittelt werden.
Das Resultat veranschaulicht die „Blasen-Grafik“. Sie lässt erkennen, dass Personen mit höherem ökonomischem Status sehr viel größere CO2-Fußabdrücke hinterlassen als solche in den unteren Gruppen. Approximativ lässt sich sagen, dass das ökonomisch gesehen obere Drittel der Bevölkerung etwa die Hälfte der Verkehrsressourcen in Anspruch nimmt, sich also ein sehr großes Kuchenstück gönnt.Es ist so groß, weil Wohlstand im Mittel mit einer verstärkten Auto-Nutzung und mit mehr Mobilität sowie in der Summe mehr zurückgelegten Kilometern einhergeht. Das ausgerufene CO2-Ziel kann also nur erreicht werden, wenn insbesondere diese Gruppe ihre Mobilitätsgewohnheiten hinterfragt und vor allem im Individualverkehr sogar einschränkt. Dass dafür auch attraktive Alternativangebote bereitgestellt werden müssen, die dem Komfortversprechen des Autos etwas Adäquates entgegensetzen, und dies bisher kaum der Fall ist, ist dabei so selbstverständlich wie herausfordernd gleichermaßen. Doch es bleibt die Notwendigkeit, eigene Routinen in Sachen Lückenschluss zu hinterfragen. Belohnt wird es möglicherweise mit einem Plus an Lebensqualität an anderen Stellen auch außerhalb der Mobilitätswelt.
Zum Weiterlesen:
Angaben zum Pkw-Bestand sind in der Bestandsstatistik des KBA verfügbar.
Angaben zum aktuellen Bevölkerungsbestand und den Ergebnissen der Zensuskorrektur für die Jahre vor 2011 sind bei destatis verfügbar.
Alle Auswertungen und Informationen zu den verschiedenen Ausgaben der MiD sind online unter www.mobilitaet-in.deutschland.de bereitgestellt.
Der integrierte MiD-Zeitreihenbericht 2002 – 2008 -2017 kann hier abgerufen werden
Und wer sich über die Vorgehensweise bei der Erstellung der harmonisierten MiD-Zeitreihe informieren möchte, findet hier Erläuterungen dazu
Für 2020 geplant ist eine „MiD-Umweltberichterstattung“ zur weiteren Vertiefung der vorgestellten Emissionsauswertungen.