Falscher Freund

Ohne Zweifel birgt Homeoffice Vorteile – aber auch Risiken

Mit Corona kam das Homeoffice. Manche sprechen von einem aufgezwungenen Experiment, andere halten es für eine überfällige Entwicklung und die Zukunft des Arbeitens. Bei aller Euphorie wird gerne übersehen, dass bei Weitem nicht jeder Beschäftigte diese Option nutzen konnte. Wer profitiert von der schönen neuen Homeoffice-Welt? Sind es am Ende diejenigen, die sich aufgrund ihrer Bildungs- und Berufsabschlüsse ohnehin in einer privilegierten Situation auf dem Arbeitsmarkt befinden?
Für eine Analyse ist erst einmal der Begriff zu präzisieren. Grundsätzlich unterscheidet sich Homeoffice oder Telearbeit vom sogenannten mobilen Arbeiten. Erster es ist nach der Arbeitsstättenverordnung §2 Abs. 7 geregelt, die vorsieht, dass der Arbeitgeber einen festen Arbeitsplatz im privaten Wohnbereich des Arbeitnehmers einrichtet und feste Zeiten für das Arbeiten von zu Hause vereinbart. Mobiles Arbeiten ist dagegen das zeitweise Arbeiten von unterwegs oder an verschiedenen Arbeitsorten, etwa auf Dienstreisen, auf dem Weg zur Arbeit, bei freier Arbeitsplatzwahl im Betrieb oder eben von zu Hause. Hierzu reichen in der Regel ein Laptop und eine Internetverbindung. Mit dieser Form des mobilen Arbeitens haben während der Corona-Pandemie höchstwahrscheinlich die meisten Beschäftigten Erfahrung gemacht, denn es bedarf dafür keines fertig eingerichteten Arbeitszimmers in der heimischen Wohnung. Denn ob dieses wirklich von jedem Beschäftigen ersehnt wird, der aktuell vom Homeoffice auch nach Corona träumt, ist fraglich.

Die aktuelle Wahrnehmung von Homeoffice ist untrennbar mit Corona verbunden

Nach den Ergebnissen der Arbeitszeitbefragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hatten im Jahr 2017 lediglich 8 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland mindestens einen Tag pro Woche im Homeoffice gearbeitet. Erhebungen von infas vom Juni 2020 dokumentieren mit dem Lock down einen erheblichen Anstieg auf rund 30 Prozent. Das spricht dafür, dass die Akzeptanz des Arbeitens von zu Hause hoch ist und sich viele auch nach Corona die Option wünschen, weiter von zu Hause zu arbeiten. Die Vorteile werden klar gesehen: Es spart Fahrt- und Pendelzeiten zur Arbeit. Das werden viele besonders montagmorgens oder freitagnachmittags sehr zu schätzen wissen. Um rund fünf Millionen Tonnen pro Jahr kann der CO₂-Ausstoß im Verkehr sinken, wenn 40 Prozent der Arbeitnehmenden dauerhaft an zwei Tagen pro Woche von zu Hause arbeiten, hat das Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung für Greenpeace ermittelt. Auch erleichtert die Option, von zu Hause aus zu arbeiten, womöglich, Berufs- und Privat leben besser zu vereinbaren. Aber es gibt auch Stimmen, die Homeoffice eher kritisch sehen: Gängige Befürchtungen sind etwa, dass man den Kontakt zu den Kollegen verliert oder Homeoffice insbesondere zulasten von Müttern geht. Diese können zwar einerseits die Kinderbetreuung besser in ihr Berufsleben integrieren oder haben perspektivisch überhaupt erst die Chance, trotz Kindern zumindest partiell zu arbeiten. Analysen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in Düsseldorf sprechen jedoch für eine Doppelbelastung von Müttern, die bei Homeoffice neben der Arbeit häufig mehr Kinderbetreuung als die Väter übernehmen.
Kritische Stimmen zum Homeoffice gibt und gab es bereits vor Corona. Anhand der infas-Studie wird aber deutlich, dass die aktuellen Befürworter vor allem diejenigen sind, für die Homeoffice oder mobiles Arbeiten während der Corona-Pandemie möglich war. Und das hängt nicht vom Zufall ab, sondern von der Branche. Deutliche Unterschiede zeigen sich zudem auch nach der beruflichen Stellung und dem höchsten allgemeinbildenden Schulabschluss der Beschäftigten.
Es bestehen damit ganz offensichtliche Unterschiede im Zugang zum Homeoffice während der Corona-Pandemie. Diese sind nicht neu, sondern zeichnen ein Bild davon, wer bereits vor Corona und wahrscheinlich auch in Zukunft von den Vorzügen des Homeoffice profitieren konnte und kann. Ganz entscheidend wird dafür sein, ob man überwiegend manuellen oder kognitiven Tätigkeiten in seiner Arbeit nachgeht. Die Ergebnisse der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2018 zeigen hierzu deutlich, dass bereits in der Vergangenheit die Chance, von zu Hause aus zu arbeiten, erheblich größer war, je mehr man kognitiven Tätigkeiten bei seiner Arbeit nachging und digitale Arbeitsmittel wie Computer, Internet oder E-Mails einsetzte. Daran wird deutlich, dass die Digitalisierung der Arbeitswelt nicht bei allen Beschäftigten gleich ankommen wird. Für große Teile der Beschäftigten wird das Homeoffice auch in Zukunft aufgrund der Tätigkeit keine Option sein, Beispiel Gesundheits- und Sozialwesen. Hier ist der Weg zum Arbeitsplatz unvermeidbar, da pflegerische oder therapeutische Arbeit nur vor Ort stattfinden kann. Die Digitalisierung der Arbeit bedeutet für diese Beschäftigten etwas völlig anderes: Bereits heute deutet vieles darauf hin, dass sie nicht mit Entlastung oder mehr Flexibilität im Arbeitsalltag verbunden ist, sondern stattdessen zu mehr Arbeitsverdichtung und zu mehr Kontrolle durch permanentes Monitoring von Arbeitsabläufen führt. Eine ähnliche Situation lässt sich auch für Beschäftigte in der industriellen Produktion oder im Post- und Lieferverkehr vermuten.

Mit Corona kam das Homeoffice, aber was bleibt?

Mit Corona kam das Homeoffice für viele, aber bei Weitem nicht für alle. Die Corona-Pandemie zeigt deutlich, dass die Digitalisierung der Arbeitswelt nicht bei allen Beschäftigten gleichermaßen ankommt. Die Corona-Pandemie könnte diese Entwicklung nun noch beschleunigt haben und bestehende Unterschiede weiter vertiefen.
Die Teile der Beschäftigten, die von der Homeoffice-Möglichkeit profitieren, werden sich mittelfristig auch mit den Kehrseiten auseinandersetzen müssen: den damit einhergehenden schwindenden Grenzen zwischen Beruflichen und Privatem, komplexeren Ab stimmungsverfahren, fehlenden Sozialkontakten oder sogar alten Rollenmustern der berufstätigen Mutter, die auch für die Kinderbetreuung verantwortlich ist. Dass das Thema Homeoffice jedoch wieder zu einem Nischenthema wird, wie vor der Corona-Pandemie, kann zum jetzigen Stand ausgeschlossen werden.

Diagramm Wer arbeitet im Juli ganz überwiegend von zu Hause aus?

Zum Weiterlesen:
Scholz, J. (2020): Gekommen, um zu bleiben. Homeoffice und Corona, im infas-Blog
Mergener, A. (2020): Berufliche Zugänge zum Homeoffice, Kölner Zeitschrift für Soziologie
Backhaus, N., Wöhrmann, A., Tisch, A. (2019): BAuA-Arbeitszeitbefragung: Telearbeit in Deutschland, baua: Bericht kompakt, 1. Auflage
Tisch, A. Meyer, S.-C. (2020): Chancen und Risiken der Digitalisierung in den beruflichen Tätigkeitsfeldern Pflegen, Betreuen und Heilen, Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, Volume 63, 2020. Seiten 690-697
Hipp, L., Bünning, M. und Munnes, S. (2020): Was das Homeoffice anrichtet.
Lott, Y (2019): Weniger Arbeit, mehr Freizeit? Wofür Mütter und Väter flexible Arbeitsarrangements nutzen. WSI-Report Nr. 47, März 2019, Wirtschafts-und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf.
Greenpeace e. V.: Klimaschutz im Kleinraumbüro.